Trotz Korruptionsprozess: Trafigura steigt wieder auf den angolanischen Zug auf
Sie haben sich schon am Vortag frühmorgens in die Schlange gestellt, um ein Zugticket zu ergattern. In kleinen Gruppen, die Arme mit Gepäck beladen, die Kinder in bunten Tüchern auf den Rücken ihrer Mütter, drängen die Reisenden in Lobito in die alten Waggons der Caminho de Ferro de Benguela. Die hundertjährige Eisenbahngesellschaft, welche die Strecke bereits zur Zeit der portugiesischen Kolonialisierung betrieb, durchquert Angola von Westen nach Osten bis zur Grenze mit der Demokratischen Republik Kongo (DRK) und Sambia.
Schon in Lobito, einer Hafenstadt am Atlantik, 400 Kilometer von der Hauptstadt Luanda entfernt, gibt es nur wenige freie Plätze. Doch je weiter der wöchentliche Zug durch die veralteten Bahnhöfe aus chinesischer Produktion ins Herz des Landes vordringt, desto rarer werden die Plätze. Hier, um zu einem geliebten Menschen in einer entlegenen Provinz zu gelangen; dort, um Maniok, Mais oder Erdnüsse in der nächsten Agglomeration zu verkaufen. Die chinesische Firma, welche die Eisenbahnstrecke nach dem angolanischen Bürgerkrieg (1975–2002) instand setzte, hatte versprochen, 4,5 Millionen Menschen pro Jahr zu befördern. Sie setzte nur einen Bruchteil ihrer Versprechungen um, bevor ihr das Projekt entzogen wurde und die Gütertransporte 2022 an ein «europäisches» Konsortium übergeben wurden.
Das Konsortium trägt den Namen Lobito Atlantic Railway (LAR), verfügt über eine Rechtseinheit mit Sitz im Trafigura-Gebäude in Genf und wird vom Rohstoffhändler angeführt, in Partnerschaft mit dem portugiesischen Bauunternehmen Mota Engil und dem belgischen Eisenbahnbetreiber Vecturis. In deren Visier: die lukrativen Kupfer- und Kobaltminen – sie fördern zwei für die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft entscheidende Metalle – im zentralafrikanischen Copperbelt, 1700 Kilometer von Lobito entfernt.
Der Mitbegründer von Trafigura, der 2015 verstorbene Claude Dauphin, hatte den Grundstein für dieses Projekt gelegt, das nun von der Biden-Regierung unterstützt wird. Anfang der 2010er-Jahre begann der Handelskonzern, über eine undurchsichtige Tochtergesellschaft zweistellige Millionenbeträge entlang des Korridors zu investieren. Diese war mit einem hochrangigen angolanischen Unternehmer verbunden, der heute unter Sanktionen des US-Finanzministeriums steht, und wurde von Mariano Marcondes Ferraz verwaltet, der in Brasilien wegen Korruption im Gefängnis sitzt. Letzterer ist der Grund dafür, dass Trafigura heute in der Schweiz wegen der Zahlung von Bestechungsgeldern auf dem angolanischen Ölmarkt vor Gericht steht.
Anfang Oktober ging Public Eye der angolanischen Spur nach, um zu verstehen, wie Trafigura sich trotz Ärger vor einem Schweizer Gericht die Konzession für den Lobito-Korridor unter den Nagel reissen konnte.
Das Tor zum Atlantik
Unweit des chaotischen Bahnhofs von Lobito laden die Bagger des Hafenterminals Kupferkonzentrat aus Güterwagen in den Bauch eines Massengutfrachters mit liberianischer Flagge um. Das Metall, wegen seiner hohen Leitfähigkeit in Batterien verwendet, stammt aus der kongolesischen Kamoa-Kakula-Mine, die dem kanadischen Konzerns Ivanhoe Mining gehört. Die Ladung wird vom LAR-Konsortium transportiert, das Mitte Juli 2024 offiziell den Betrieb aufgenommen hat.
Bisher wurden die Metalle hauptsächlich Lastwagen um Lastwagen über Tausende von Kilometern aus Kolwezi im Süden der Demokratischen Republik Kongo (DRK) transportiert, um schliesslich einen Hafen zu erreichen, meist in Ostafrika. Der Lobito-Korridor bietet mit seinen Hunderten von Kilometern Eisenbahnstrecke einen ökologisch und logistisch attraktiveren Absatzmarkt – der Transport dauert fünf bis sieben Tage statt mehr als einen Monat – mit Zugang zum Atlantik und damit zum Westen und seiner Industrie.
Während der Personentransport mit beinahe karikaturistischer Ineffizienz noch immer von der nationalen Eisenbahngesellschaft betrieben wird, könnte die Ankunft von LAR einen Umbruch für Zentralafrika bedeuten. Derzeit werden die Transporte aus den Bergwerken von Kolwezi hauptsächlich über den Grenzübergang Kasumbalesa zwischen der Demokratischen Republik Kongo und Sambia abgewickelt. In der Region gibt es starke wirtschaftliche Interessen. So kontrollieren chinesische Konglomerate 80% der Kupferminen im Kongo. Doch auch westliche Konzerne sind präsent, etwader Zuger Riese Glencore, der dort jährlich 2,45 Millionen Tonnen Kupfer und fast 40’000 Tonnen Kobalt abbaut. Doch auch lokale Machthaber wie der ehemalige Gouverneur von Katanga, Moïse Katumbi, der über seine Firma Hakuna Matata eine Lkw-Flotte betreibt, verfolgen ihre Interessen. «Man erfindet einen neuen Grenzübergang in Luau [letzter angolanischer Bahnhof vor der Grenze zur Demokratischen Republik Kongo]», kommentiert ein Kenner der Region, der nicht namentlich genannt werden möchte. «Wer den Zoll kontrolliert, kontrolliert die gesamte DRK.»
Die Biden-Regierung war so begeistert von der Möglichkeit, dem chinesischen Rivalen in Afrika den Rang abzulaufen, dass sie ihre gesamte diplomatische Maschinerie einsetzte. Im Februar 2024 versprach die Development Finance Corporation (DFC), ihr humanitärer Arm, 250 Millionen US-Dollar und verdoppelte diesen Betrag im Juni. Die US-Behörden, die nur noch von der «Finanzierung der wirtschaftlichen Integration Afrikas» sprechen, haben weitere Investoren wie die Afrikanische Entwicklungsbank oder die Europäische Kommission mit an Bord geholt. Der Gesamtbetrag des institutionellen Crowdfundings beläuft sich nach letztem Stand auf 4 Milliarden Dollar für die Modernisierung der Infrastruktur, eine dichtere Taktung der Züge und die Ankurbelung der lokalen Wirtschaft. Trafigura freut sich über den «effizienteren und kohlenstoffärmeren Marktzugang zu Kupfer, Kobalt und anderen für die Energiewende entscheidenden Metallen».
Dieses Zweckbündnis zwischen der Biden-Administration und Trafigura mag überraschen. Schliesslich ist der Genfer Rohstoffhändler am 28. März 2024 von der US-Justiz verurteilt worden, weil er Bestechungsgelder an Beamte des staatlichen brasilianischen Ölkonzerns Petrobras bezahlt hatte, um günstig an Verträge zu gelangen. Vor allem aber hat Trafigura in Angola eine vernichtende Vorgeschichte …
Trafiguras Herrschaft in Angola
In Angola haben Unabhängigkeitskrieg (1961–1975) und Bürgerkrieg (1975–2002) eine Million Menschenleben gefordert sowie eine minenverseuchte Region und eine zerrüttete Wirtschaft hinterlassen. Seit seiner Unabhängigkeit hatte das Land nur Militärpräsidenten, die aus der marxistisch-leninistisch inspirierten Staatspartei Movimento Popular de Libertação de Angola (MPLA, Volksbewegung zur Befreiung Angolas) hervorgegangen waren. José Eduardo Dos Santos, der das Land von 1979 bis 2017 regierte, führte in den 1990er-Jahren ein System ein, das ausländische Investoren dazu verpflichtet, sich mit angolanischen Partner*innen zusammenzuschliessen, um so die Schaffung einer «nationalen Bourgeoisie» zu fördern. Diese sollte wiederum in die lokale Wirtschaft reinvestieren. Das erklärte Ziel: einen positiven Kreislauf von Wohlstand und Arbeitsplätzen zu etablieren.
MPLA-Funktionär*innen und deren Angehörige – von der angolanischen Bevölkerung werden die Kleptokrat*innen «Marimbondos» (Wespen) genannt – erhalten so Anteile an Joint Ventures mit ausländischen Investoren. Die bekannteste unter ihnen ist die Tochter des Präsidenten, Isabel Dos Santos, die mit 30 Jahren zur wohlhabendsten Frau Afrikas wurde und öffentliche sowie private Unternehmen leitet.
«Einflussreiche Personen haben nicht nur Geld, Vermögen und Möglichkeiten an sich gerissen: Die offizielle Politik besagt, dass ihnen dabei geholfen werden muss», schrieb Ricardo Soares de Oliveira, Professor an der Universität Oxford und Autor des Referenzwerks «Magnificent and Beggar Land: Angola since the Civil War» im Jahr 2015.
In der Dos Santos-Ära wird Trafigura zu einem zentralen, ja unumgänglichen Partner. Um an Ölverträge zu gelangen, verbündete sich der Genfer Händler mit Militärs in Regierungspositionen. Zu diesen gefährlichen Allianzen gehörte auch diejenige mit General Leopoldino Fragoso do Nascimento, im Land besser bekannt unter seinem Spitznamen Dino. Dieser war erst Kommunikationschef der angolanischen Regierung, dann Sonderberater eines anderen Generals, Manuel Hélder Vieira Dias Jr. (genannt Kopelipa) – vor allem aber Unternehmer …
Gemeinsam bauten Trafigura und der General ein Netzwerk von Unternehmen auf, das sich um die in Singapur ansässige DTS Holdings gruppierte, deren Tochtergesellschaften in Angola unter dem Akronym DT Group (für Dino und Trafigura) auftraten. Laut der Enthüllungsplattform «Maka Angola» war Kopelipa eine Zeit lang ebenfalls Geschäftsführer der DT Group.
Über dieses Joint Venture wickelte Trafigura 2009 einen der lukrativsten Deals ab: Der Konzern bezog von der staatlichen Ölgesellschaft Sonangol billiges Rohöl (die Mengen sind bis heute nicht bekannt) und versorgte die angolanische Bevölkerung über sein Netzwerk aus Hunderten von Pumangol-Tankstellen (einem Joint Venture zwischen der Trafigura-Tochter Puma Energy und der Cochan SA von General Dino) mit raffiniertem Treibstoff. Denn Angola ist mit einer Produktion von über 1 Million Barrel pro Tag zwar Afrikas zweitgrösster Rohölproduzent, aber die Raffineriekapazitäten des Landes reichen bei weitem nicht aus, um den Bedarf seiner wachsenden Bevölkerung (derzeit 38 Millionen Einwohner*innen) zu decken. Dieser sogenannte captive market wurde bereits 2011 auf 3,3 Milliarden US-Dollar pro Jahr geschätzt.
Lesen Sie dazu unsere 2013 erschienene Recherche «Trafiguras Geschäfte in Angola»
Die Beziehung mit Dino ist für Trafigura problematisch, denn er ist ein «PEP», eine politisch exponierte Person. Für Trafigura und geldgebende Banken also ein Geschäftspartner, bei dem Vorsicht und gebührende Sorgfalt geboten sind, zumal er öffentliche Ämter und Geschäftstätigkeiten in Eigeninteresse miteinander verbindet.
Einige Tochtergesellschaften der DT-Gruppe und ihre langjährigen Mittelsmänner ermöglichten es Trafigura, einfacher an die Eisenbahnkonzession zu gelangen und einen Fuss in den Lobito-Korridor zu setzen. Später mehr dazu.
Das Verfahren gegen Trafigura in der Schweiz
Ab dem 2. Dezember befasst sich das Bundesstrafgericht in Bellinzona mit einer Bestechungsaffäre um den Geschäftsführer der Sonangol-Vertriebstochter, Paulo Gouveia Júnior. Zwischen August 2009 und Juli 2011 erhielt dieser von der ConsultCo Trading Ltd. mit Sitz auf den Britischen Jungferninseln – über seine Offshore-Firma Wyland Group – im Rahmen von 16 Transaktionen beinahe 4,4 Millionen Euro auf sein Konto bei der Genfer Niederlassung der Bank Crédit Agricole (heute CA Indosuez). Etwa 350’000 Euro wurden von einer Offshore-Firma in den Händen von Mariano Marcondes Ferraz (siehe Kapitel 5), Enelmer International Ltd., am 10. Juli 2009 direkt überwiesen. Darüber hinaus erhielt Paulo Gouveia Júnior über 604’000 US-Dollar in bar. Der Zweck dieser Zahlungen? Die Unterzeichnung von acht Schiffscharterverträgen und einem Bunkervertrag zugunsten von Sonangol Distribuidora. Dank dieser Bestechungsgelder soll Trafigura laut Berechnungen der Bundesanwaltschaft einen unrechtmässigen Gewinn von 143,7 Millionen Dollar erzielt haben.
ConsultCo Trading Ltd. ist im Besitz eines ehemaligen Trafigura-Mitarbeitenden, der für die Vermittlung von Ölverträgen in Angola, aber auch in der Republik Kongo zuständig war, wo er laut dem Fachmedium «Africa Intelligence» ausgezeichnete Beziehungen zum Sohn des Präsidenten Denis Sassou-Nguesso pflegte. Er ist zudem Eigentümer und Co-Direktor der Werft in Corsier-Port bei Genf, wo die Schiffe mehrerer Trafigura-Händler vor Anker liegen.
Der Fall bringt den multinationalen Konzern, der versucht hat, mit der Schweizer Justiz zu verhandeln, in Verlegenheit. Dass ein Handelskonzern vor Gericht auspacken muss, ist nicht nur ein Novum, sondern bietet auch Gelegenheit, der Frage nachzugehen, inwieweit Trafigura-Topmanager Michael Wainwright für das Korruptionsschema verantwortlich ist.
Wainwright, ehemals operative Chef und Mitglied des Verwaltungsrats, wurde Anfang 2024 mit gut 50 vorzeitig in den Ruhestand verabschiedet. Der Millionär und passionierte Autorennfahrer gehörte zu den ersten Angestellten (Nummer 41) des 1993 gegründeten Handelskonzerns, bei dem er zunächst als Buchhalter arbeitete. Er gilt als kühl und methodisch und war offiziell für Trafiguras Geschäfte verantwortlich. Laut der Nachrichtenagentur Bloomberg segnete er selbst relativ geringe Ausgaben seiner Angestellten persönlich ab. Dieser «Perfektionismus» machte ihn zur Zielscheibe in den verschiedenen Gerichtsverfahren gegen Trafigura. Als das Verfahren im Dezember 2023 angekündigt wurde, erklärte sich «Mike» Wainwright bereit, sich vor Gericht zu verteidigen. Für ihn gilt die Unschuldsvermutung.
Der Prozess in Bellinzona wird vor allem Gelegenheit bieten, sich mit der von mehreren Quellen geschilderten «kreativen Buchführung» von Trafigura zu befassen. Und mit der Rolle der ConsultCo Trading Ltd., die im gleichen Zeitraum zahlreiche Zahlungen von Trafigura erhalten hat. Laut Dokumenten, die Public Eye eingesehen hat, soll diese Offshore-Gesellschaft von Trafigura Beheer BV in Amsterdam zwischen dem 9. Januar 2009 und dem 1. September 2011 insgesamt 51,8 Millionen US-Dollar in 56 Transaktionen erhalten haben. Wofür? Das ist eine der Fragen, die noch ungeklärt sind. Die ConsultCo Trading Ltd. und eine Tochtergesellschaft der DT-Gruppe, damals teilweise in den Händen von Dino, waren über ein wenig detailliertes intermediary agreement miteinander verbunden. Und das «um den Geldtransfers [...], die ganz überwiegend dazu bestimmt waren, Gouveia zu bestechen, den Anschein von Legitimität zu verleihen», so die Anklageschrift der Bundesanwaltschaft. Auf Anfrage verweist Trafigura auf eine Medienmitteilung von Ende Dezember 2023 und betont, man habe versucht, mit der Schweizer Justiz eine einvernehmliche Lösung zu finden.
Anfang der 2010er-Jahre verfolgte der Konzern zwei Projekte in Angola: die Wiedereröffnung von Eisenerzminen (über die DT Group) und den Betrieb der Eisenbahnlinie, die das Land in Richtung des zentralafrikanischen Kupfergürtels von West nach Ost durchquert, den Lobito-Korridor. Ebenfalls zu dieser Zeit versprach Trafigura offiziellen angolanischen Dokumenten zufolge, entlang der Trasse mehrere Dutzend Millionen US-Dollar zu investieren (über eine Tochtergesellschaft der DT Group).
Angola, im Zentrum der Welt
Im Zug, der mit 40 km/h von Bahnhof zu Bahnhof tuckert, hat niemand etwas von Trafigura oder dem Gerichtsprozess gehört – nicht einmal die Männer, auf deren Westen das Logo der Lobito Atlantic Railway prangt. Eher kommentiert man den Besuch von Joe Biden in Luanda, der für die folgende Woche geplant und dann auf Anfang Dezember verschoben worden ist. Es wird der erste Besuch des Demokraten in Afrika und der erste eines US-Präsidenten in Angola sein.
Denn nachdem Angola von den USA ins Abseits befördert worden war, erlebt das Land nun die Rückkehr des grossen diplomatischen Spiels. Mit dem überraschenden Sieg von João Lourenço (ebenfalls ein MPLA-Abgänger) bei den Präsidentschaftswahlen 2017 wurde der Dos Santos-Clan, der in Gerichtsverfahren wegen Veruntreuung verstrickt war und 2022 den Tod des Patriarchen in Barcelona zu beklagen hatte, gestürzt, und gleichzeitig gewann Angola im Westen wieder an Popularität. Nach seiner Wahl startete Lourenço eine Anti-Korruptionskampagne, verdrängte die Generäle Dino und Kopelipa aus dem Kreis des Präsidenten und beendete die für ausländische Investoren obligatorischen Partnerschaften mit Angolaner*innen. Oxford-Professor Ricardo Soares de Oliveira erinnert sich: «Als Lourenço an die Macht kam, dachten die Angolaner, dass er Trafiguras Machenschaften ein Ende setzen würde. Die Firma wurde damals als Erbe der Dos Santos angesehen. Tatsächlich beendete er ihr Monopol auf den Import von Erdölprodukten, indem er den Markt für Ausschreibungen öffnete».
Auf geopolitischer Ebene sucht João Lourenço neue strategische Partnerschaften, während die Abkommen mit Peking im Rahmen der Neuen Seidenstrasse (heute Belt and Road Initiative) weltweit auf Kritik stossen. Ein Teil der Infrastruktur, die fast ausschliesslich von chinesischen Arbeitskräften gebaut wurde, ist zusammengebrochen oder hat sich als unbrauchbar bzw. nutzlos erwiesen, wie die vielen baufälligen Bahnhöfe entlang des Korridors belegen. Und die Kredite – rückzahlbar in Form von Rohstoffen – hatten im Zuge des Preisverfalls 2015 bzw. 2020 immer wieder zur Folge, dass die Rohstoffförderung kollabierte. Weil sich das Land seit 2002 von chinesischen Kreditgebenden 45 Milliarden US-Dollar geliehen hatte, also die Hälfte des angolanischen Bruttoinlandsprodukts, traf dies Angola besonders hart. Das Land, dessen Exporte zu 94% von Kohlenwasserstoffen abhängen, schuldet den Kreditgebenden noch heute 17 Milliarden US-Dollar.
Die Biden-Regierung versucht nun, aus dieser Unzufriedenheit Kapital zu schlagen. Mit ihrem «Leuchtturmprojekt», dem Lobito-Korridor, will sie ihre Stellung in Zentralafrika ausbauen und eine Alternative zur chinesischen Vormachtstellung anbieten. Das Projekt stellt für Luanda «eine dreifache Gelegenheit zur wirtschaftlichen Diversifizierung dar; ohne Fokus auf die Ölförderung, ausserhalb der Hauptstadt und vor allem in gleicher Entfernung zu Washington und Peking», erklärt Heitor Carvalho. Der Direktor des Wirtschaftsforschungszentrums der Lusíada-Universität in Luanda, der zahlreiche, zum Teil sehr angeregte Debatten über den Lobito-Korridor führt, hat keinen Zweifel daran, dass die angolanische Eisenbahntrasse im Vergleich zu Alternativprojekten (tansanischer Korridor oder kongolesischer Hafen) einen Wettbewerbsvorteil hat oder dass der Bergbau in Angola rentabel ist. «Heute haben wir zwei Erztransporte pro Woche, dabei könnten es zwei pro Tag sein», sagt er.
Wer vor Ort die veraltete Infrastruktur und den Schrott auf der Strecke sieht, kann sich eine solche Taktung der Züge kaum vorstellen. Da keine Züge fahren, gehen die Bewohner*innen der ländlichen Gemeinden im Landesinneren oft auf den Bahnschwellen. Nun ist es an Trafigura und dem Konsortium, die sich neben den Entwicklungsbanken als institutionelle Akteure in der Region positioniert haben, die Trasse zu modernisieren.
Eine Büchse der Pandora namens Mariano
Dabei schien Trafiguras angolanische Bastion eigentlich ernsthaft bedroht. Knapp ein Jahr vor dem politischen Wandel in Angola löste ein Ereignis eine Kettenreaktion aus, deren Auswirkungen für den Genfer Konzern bis heute spürbar sind: die Verhaftung eines gewissen Mariano Marcondes Ferraz am 26. Oktober 2016 am Flughafen von São Paulo, in Zusammenhang mit dem Petrobras-Skandal in Brasilien. Der Geschäftsmann, damals Geschäftsleitungsmitglied bei Trafigura, wurde verurteilt – von der brasilianischen Justiz 2018 zu zehn Jahren Haft und von der Bundesanwaltschaft 2019 zu einer Ausgleichsforderung von über 1 Million Franken. Grund: Er hatte einem hohen Beamten der staatlichen brasilianischen Ölgesellschaft Schmiergelder gezahlt.
Für Trafigura akquirierte Mariano Marcondes Ferraz auch in Angola, wo er als operativer Chef der DT Group, dem Joint Venture des Genfer Traders und des Generals Dino, fungierte. Gegen eine Strafmilderung legte der Brasilianer seine Karten auf den Tisch und berichtete der Justiz über dubiose Finanzströme, unter anderem in Angola. Aussagen, die Trafigura laut dem Fachmedium «Gotham City» vor Gericht für ungültig erklären lassen wollte.
In der Schweiz wird im Juli 2020 wegen Verdachts auf Bestechung von angolanischen Amtsträger*innen eine Strafuntersuchung gegen unbekannt eingeleitet. Daraufhin beeilt sich Trafigura, aufzuräumen. Durch eine Reihe von Aktientransaktionen zwischen März 2020 und September 2021 «säubert» der Konzern sein Kapital von dem allzu lästig gewordenen Dino. Zunächst kauft Trafigura die Anteile des Generals an Puma Energy und DTS Holdings Pte Ltd. (über die Cochan-Firmen). Parallel dazu erwirbt Trafigura die gesamten Anteile der Sonangol Holdings an Puma Energy (im Wert von schätzungsweise 600 Millionen US-Dollar) im Austausch gegen seine angolanischen Vermögenswerte, darunter die wertvollen Pumangol-Tankstellen.
Die Alarmstufe steigt am 9. Dezember 2021 weiter an, als das US-Finanzministerium beschliesst, General Dino, vier seiner Unternehmen (darunter Cochan S.A. und Cochan Holdings S.A.), seinen Vorgesetzten General Kopelipa und Isabel Dos Santos auf die Liste der specially designated nationals zu setzen. Mit den beiden Generälen und der Präsidententochter dürfen also keine Geschäfte gemacht werden, und auch ihre Vermögenswerte werden gesperrt. Doch Trafigura scheint seine Aufgabe bereits mit dem Versprechen erfüllt zu haben, sich von dem Land und seinen korrupten Eliten abzuwenden. Dino seinerseits ist dank dieser verdächtigen Transaktionen um mehrere hundert Millionen US-Dollar schwerer geworden und verschwindet aus Angola.
Ende 2023 gibt die Bundesanwaltschaft bekannt, dass sie eine Anklageschrift gegen Trafigura und drei natürliche Personen eingereicht hat, die mit dem angolanischen Ölsektor während der Dos Santos- Ära in Verbindung standen, darunter «Mike» Wainwright. Die Anklageschrift der Bundesanwaltschaft spricht von Übernachtungen in zwei Genfer 5-Sterne-Hotels, von einem Aufenthalt am Karneval in Rio mit Claude Dauphin, Mariano Marcondes Ferraz sowie den angolanischen Spitzenbeamten Manuel Vicente und General Dino oder auch von der Bezahlung eines Sommerlagers in Gstaad für die Tochter von Paulo Gouveia Junior – alles bezahlt von Trafigura an Paulo Gouveia Junior. Damals scheint scheint das Ende von Trafigura in Angola nahe zu sein.
Die Torre Caravela in Luanda, in dem alle Joint Ventures von Dino und Trafigura beheimatet waren, trägt jedoch noch immer das Logo der DT Group …
Die «zwei» Korridore von Lobito
Entlang des Korridors zieht die Diesellokomotive weiter ihre Bahn durch die zentralen Provinzen Angolas. Nach den Bahnhöfen Lobito und Catumbela wird die Landschaft karg und unwirtlich, mit steilen Klippen und Erde, die die Sonne reflektiert. Im Zug sitzt der unermüdliche 68-jährige Marcelino Kienze Macole, der die Reise diese Woche schon zum zweiten Mal unternimmt. Der Vizepräsident der Industrie- und Handelskammer Angola/DRK ist vom kongolesischen Bergbaugebiet Lubumbashi nach Lobito gereist, um daran zu erinnern, dass «das Geld nicht beim Konsortium enden darf», sondern auch den lokalen Gemeinschaften zugutekommen muss.
Mit einem Pin in den angolanischen Farben an seinem Jackett nutzt er bei einem einstündigen Halt im Bahnhof von Huambo die Anwesenheit ausländischer Journalist*innen, um sein Vorgehen zu erklären. «Damit der Korridor rentabel ist, braucht es Frieden in der Region», erklärt er. «Der Krieg hat die Infrastruktur zerstört und die Bevölkerung jahrelang abgeschottet. Nun hat sie das Recht, sich zu entwickeln». Allerdings scheint der Lobito-Korridor, von dem Marcelino Kienze Macole und die anderen Angolaner*innen an Bord sprechen, immer mehr von dem des Konsortiums um Trafigura abzuweichen.
Lobito, Catumbela, Huambo und der Endbahnhof Luau: An diesen vier Grenzübergängen startete Trafigura vor fast 15 Jahren Investitionen in die Eisenbahninfrastruktur und ebnete damit unter der persönlichen Führung des Mitbegründers von Trafigura, Claude Dauphin, den Weg für einen ersten Versuch, die Konzession für den Korridor zu erhalten. Noch brisanter ist, dass der in Brasilien wegen Korruption zu zehn Jahren Gefängnis verurteilte Mittelsmann Mariano Marcondes Ferraz selbst diese ersten Investitionen leitete, wie Public Eye feststellen konnte.
Wie Trafigura den Fuss in den Korridor setzte: eine Chronologie
1. September 2010
AngoFret Ltda wird in Luanda gegründet, um die Infrastruktur entlang einer Eisenbahnstrecke zu entwickeln. Das Unternehmen ist Teil der DT Group Galaxie, einem Joint Venture zwischen General Dino und Trafigura (daher die Abkürzung DT).
General Dino
Oktober 2010 bis Juni 2011
Ankündigung der Einrichtung von multifunktionalen Logistikplattformen in Lobito und Huambo sowie eines Lagerzentrums in Catumbela. Offiziell kommunizierte Investitionen in Angola: 87,5 Mio. US-Dollar.
Mariano Marcondes Ferraz
20. Juni 2012
Gründung der Vecturis Ltda. in Luanda durch Trafiguras Anwältin Nahary C. Die Muttergesellschaft von Vecturis behauptet heute, diese Tochtergesellschaft nicht zu kennen.
Nahary C.
Januar 2015 und April 2016
Einrichtung von zwei Terminals für das Umladen der Container von der Strasse auf die Schiene in Huambo und Luena. Offiziell angekündigte Investition in Angola: 52,7 Mio. US-Dollar.
General Kopelipa
4. Juli 2023
Offizielle Konzessions-Vergabe für den Lobito-Korridor an ein Konsortium aus Trafigura, Mota Engil und Vecturis. Ein Jahr später verlassen die ersten Güterzüge mit Kupfer aus dem Kongo Luau und erreichen Lobito in weniger als einer Woche.
Trafigura nutzte damals eine diskrete «zweiköpfige» Firma namens AngoFret, von der heute keine Spur mehr zu finden ist. AngoFret Holdings (BVI) Ltd. wurde am 24. Dezember 2009 auf den Britischen Jungferninseln registriert – über die im Rahmen der Paradise Papers bekannt gewordenen Anwaltskanzlei Appleby – und zur gleichen Zeit wie die meisten Joint Ventures der DT Group gegründet (2009–2010). Zu 99% im Besitz von Cochan S.A. (das restliche 1% gehört einem Cousin von General Dino) ist diese juristische Person indirekt mit Trafigura verbunden, und zwar über DTH Investments (DT Group), ein Unternehmen mit Sitz auf den Bahamas. Spätestens 2018 hatte Trafigura die Kontrolle über die Angofret Holdings (BVI) Ltd. übernommen.
Die karibische AngoFret Holdings (BVI) Ltd. und deren angolanische Aktionäre mit ihren guten Verbindungen zur lokalen Regierung ermöglichen Trafigura, einen ersten Fuss in den Lobito-Korridor zu setzen. Die juristische Person, Dinos Cousin und die Republik Angola gründen am 1. September 2010 «in ihrem besten Interesse und im allgemeinen Interesse der Republik Angola» die AngoFret Ltda, Zweite ihres Namens. Sie zieht in die Torre Caravela der DT-Gruppe ein und steht unter alleiniger Leitung von Mariano Marcondes Ferraz.
«Mariano Marcondes Ferraz hat tatsächlich an Sitzungen zum angolanischen Projekt teilgenommen, aber meistens in Genf, wo er wohnhaft war», bestätigt Eric Peiffer, geschäftsführender Direktor von Vecturis, einem Eisenbahnbetreiber und Partner von Trafigura im Konsortium, und gibt an, er habe «aus der Presse von der Verhaftung von Mariano Marcondes Ferraz in Brasilien erfahren».
Der ehemalige leitende Angestellte von Trafigura, der im Zuge der Petrobras-Affäre in Ungnade gefallen ist, war über die DT Group damals offiziell für die Eisenbahninvestitionen des Genfer Traders verantwortlich. Konkret handelt es sich um den Bau von vier Logistikterminals entlang der Bahngleise in der ersten Hälfte der 2010er-Jahre. Dies belegen zwei Präsidialdekrete, die im Amtsblatt «Diário Da República» veröffentlicht worden sind.
Die erste Investition vom September 2010 in Höhe von über 87,5 Millionen US-Dollar, die in zwei Tranchen aufgeteilt wurde, gilt dem Bau eines Lagerzentrums in Catumbela sowie zweier multifunktionaler Logistikplattformen in Huambo und Lobito, d. h. in der Nähe des Atlantikhafens, wo Tonnen von Kupfer und Kobalt angeliefert werden sollen. Dinos Cousin steuert gerade mal 50’000 US-Dollar zum Millionenregen bei. Pikantes Detail: Sowohl er als auch Angofret Holdings (BVI) Ltd. wurden von einer Anwältin vertreten, die damals über eine von Trafigura gehostete E-Mail-Adresse verfügte und zufälligerweise die Grossnichte von General Kopelipa ist, wie der angolanische Journalist Nelson Sul berichtet. Dies ist das einzige Mal, dass der Name Trafigura in dem Vertrag auftaucht.
Die zweite Investition sieht den Bau von zwei multimodalen Plattformen in Huambo und Luena vor. Der Vertrag vom 29. Oktober 2014 umfasst Investitionen in Höhe von rund 52,7 Millionen US-Dollar. Dinos Cousin ist verschwunden, aber Mariano Marcondes Ferraz verwaltet immer noch die Geschäfte. Wieder ist es dieselbe angolanische Anwältin, die das als «externer Investor» bezeichnete Unternehmen Angofret (BVI) Ltd. zusammen mit einem Kollegen vertritt – beide haben die Domain @trafigura.com in ihrer Mailadresse.
Auf Anfrage erklärt die angolanische Anwältin, dass sie nicht mehr für Trafigura arbeite. Über ihre Verwandtschaft mit General Kopelipa möchte sie nicht sprechen, ebenso wenig über ihre Aktivitäten im Zusammenhang mit Vecturis, das Unternehmen, das offiziell 1% der Anteile am LAR-Konsortium besitzt und für den Betrieb der Züge im Lobito-Korridor zuständig ist, wofür es eine Gebühr kassieren soll (Betrag nicht offengelegt).
Am 20. Juni 2012 ist es tatsächlich die Trafigura-Anwältin, die die Firma Vecturis Logística, Portos e Caminhos de Ferro, Ltda. eintragen lässt. Die angolanische Tochtergesellschaft des belgischen Konzerns wird als ein der DTS Serviços Ltda und der DTS Imobiliária Ltda, also der DT Group, angehöriges Unternehmen bezeichnet. 2015 findet man sie schliesslich in der Torre Caravela wieder, Tür an Tür mit allen Firmen des Joint Ventures von Dino und Trafigura, darunter auch eine gewisse AngoFret Ltda.
Paradoxerweise ist Vecturis heute in Luanda nicht mehr auffindbar. Bei unserem Besuch in der Torre Caravela wirkt der Rezeptionist bei der Erwähnung jeglicher Firmen der DT Group sehr verlegen – trotz des riesigen Schildes, das noch immer die Vorderseite des Gebäudes schmückt. Er verweist uns an die «Torre X», Trafiguras neue Adresse.
Ist Vecturis ein unabhängiges Unternehmen? Die Partnerwahl des LAR-Konsortiums wirft auf jeden Fall Fragen auf. In Belgien hat das Unternehmen nur vier Mitarbeitende und sein Umsatz entspricht eher dem einer kleinen NGO als dem eines Eisenbahnbetreibers, der «weltweit Transportdienstleistungen im Personenverkehr, Bergbau und Handel anbietet».
Auf Nachfrage erklärt Vecturis-Mitbegründer Eric Peiffer, dass sich der Umsatz des Unternehmens hauptsächlich aus Rechnungen für Dienstleistungen oder Beratung ergebe: «Nebenbei bemerkt ist es auch weil wir auf einem Markt mit hohem Länderrisiko tätig sind, dass wir immer versucht haben, den Sitz so leicht wie möglich zu gestalten». Hingegen gibt er an, nichts über die von der Trafigura-Anwältin gegründete angolanische Firma Vecturis Ltda zu wissen: «Ich war nicht in diese Gründung involviert, die zweifellos zu einem Zeitpunkt organisiert wurde, zu dem Trafigura plante, sich am Kapital von Vecturis zu beteiligen» – als die beiden Unternehmen bereits die Konzession für den Lobito-Korridor zu erhalten versuchten, kurz vor Claude Dauphins Tod 2015 … und dem Sturz von Präsident Dos Santos 2017.
In seiner Antwort an Public Eye betont Trafigura, die Konzession für den Lobito-Korridor durch «ein transparentes öffentliches Ausschreibungsverfahren unter der Aufsicht der Bewertungskommission Angolas und mit technischer Beratung durch McKinsey» erhalten zu haben. Der Konzern sagt auch, er habe keine «korporatistischen Verbindungen» zu Vecturis und zähle General Dino – seit Dezember 2021 – nicht mehr zu seinen Aktionären oder denen einer seiner Tochtergesellschaften. Er fügt hinzu, General Kopelipa sei bei «keiner juristischen Person der Trafigura-Gruppe» Aktionär gewesen.
Vor der Verhaftung von Mariano Marcondes Ferraz schien Trafigura angesichts dieser ersten Investitionen entlang des Korridors keinerlei Unbehagen zu verspüren, werden sie doch zwischen 2013 und 2015 in den Jahresberichten erwähnt. Es war sogar der brasilianische Geschäftsmann (sein Profilfoto zeugt davon), der damals schon vom Potenzial des Hafens von Lobito nahe des zentralafrikanischen Kupfergürtels, einer «engen Zusammenarbeit mit internationalen und lokalen Partnern» sowie Investitionen in die «Zukunft Angolas» sprach. Der weitere Verlauf der Geschichte ist bekannt.
An der Endstation fängt alles wieder von vorne an
Nach bald 24 Stunden Fahrt erreicht der Zug der Caminho de Ferro de Benguela die Provinz Moxico mit ihrem Regenwald. Diese ehemalige Hochburg der Unita, einer antikommunistischen Partei, die während des angolanischen Bürgerkriegs gegen die MPLA kämpfte, war eine der am stärksten verminten Regionen des Landes. Entlang der Gleise des Korridors hat die angelsächsische NGO Halo Trust zwischen 1997 und 2010 bereits rund 2000 Antipersonenminen entfernt, um eine Sanierung zu ermöglichen. Laut Halo Trust müssen jedoch weitere 10 Millionen Quadratmeter entlang der Strecke entschärft werden.
Inzwischen lauern in der Region auch andere Gefahren. Am 15. August 2024 entgleiste 127 Kilometer von der Provinzhauptstadt Luena entfernt ein Zug des Konsortiums mit mehreren Tonnen Schwefel an Bord. Die Meldung der angolanischen Nachrichtenagentur wurde kaum aufgegriffen oder näher untersucht. Der Unfall, bei dem es keine Opfer gab, unterbrach den Zugverkehr für mindestens einen Tag. In dieser abgelegenen Region wurden mögliche Umweltfolgen weder thematisiert noch von den Medien kommentiert. Auf Anfrage von Public Eye leitete Trafigura einen Brief weiter, den das LAR-Konsortium am 7. Oktober 2024 an das angolanische Umweltministerium adressiert hatte. Es erwähnt darin einen Waggon mit «32 Säcken mit 1 (einer) Tonne Schwefel», die durch den Unfall auf einer Strecke von 400 Metern unversehrt blieben, «in einem Bereich, der bereits durch eine frühere Entgleisung eines Personenzuges beschädigt wurde».
Der Unfall wirft auch ein Licht auf die weniger glänzende Seite des Lobito-Korridors. In der einen Richtung transportieren die LAR-Güterwagen Kupfer und Kobalt – bisher in geringen Mengen, wenn man die Kapazität des Netzes bedenkt. In der anderen Richtung werden Schwefel und Treibstoff zu den meist von Stromgeneratoren betriebenen kongolesischen Kolwezi-Minen befördert, deren Versorgung heute über die Lagerzentren von Trafigura (Impala Terminals) sichergestellt wird. Mit Blick auf die veraltete Eisenbahninfrastruktur ist jederzeit eine Umweltkatastrophe zu befürchten.
Doch für Trafigura ist die Rückkehr nach Angola ein Gewinn auf allen Ebenen. Neben der Eisenbahnkonzession von 2022 hat der Konzern im Februar 2023 erneut den Zuschlag für die Versorgung der angolanischen Tankstellen mit Diesel erhalten.
Oxford-Professor Soares de Oliveira ist ernüchtert. «Die Rückkehr von Trafigura nach Angola zeugt von der mangelnden wirtschaftspolitischen Vorstellungskraft der Eliten, während sich die Reformen zur Korruptionsbekämpfung als kosmetisch erwiesen haben. Trafigura konnte nicht nur seine angolanische Bastion retten, sondern hat auch an Ansehen gewonnen», analysiert er.
Trotz des Regimewechsels im September 2017 gehört Angola immer noch zu den korruptesten Ländern der Welt und rangiert auf Platz 121 (von 180) des Referenz-Index von Transparency International. Noch gravierender ist, dass die soziale Entwicklung des Landes durch den Einbruch der Erdöleinnahmen ab 2015 stark gebremst wurde. Die weitgehend importierten Konsumgüter werden immer teurer, während die Arbeitslosigkeit in städtischen Zentren und unter Jugendlichen ein unhaltbares Ausmass erreicht (42 bzw. 58%). Mehr als ein Drittel der 38 Millionen Angolaner*innen lebt nach Angaben der Weltbank von weniger als 2,15 US-Dollar pro Tag.
«Die Leute verbinden Lourenço mit dem Ende des Wachstums», sagt Filipe Calvão, assoziierter Professor am Geneva Graduate Institute und Spezialist für Rohstoffwirtschaft in der Subsahara. «Die Angolaner haben den Eindruck, dass das neue Regime die Dos-Santos-Familie verdrängt hat, um die eigenen Leute zu platzieren, wie bei einem Sesseltanz. Es herrscht ein Hauch von Nostalgie; die Menschen vermissen ihre ‚Prinzessin’ Isabel». Der Schatten der Tochter des ehemaligen Präsidenten José Eduardo Dos Santos schwebt tatsächlich oft über den Gesprächen in den Cafés von Luanda. Angesichts der derzeitigen Wirtschaftslage, die sich im desolaten Zustand vieler Teile des historischen Stadtzentrums zeigt, ist dies kaum verwunderlich. Wie heisst es doch in einem Sprichwort aus der Gegend von Luanda auf Kimbundu, einer Bantusprache? «Entweder gibt es eine Moral oder alle haben zu essen.»
Trotz Wechsel an der Spitze des Landes scheinen die Unternehmen des Konsortiums ihre privilegierte Stellung auf jeden Fall nicht so bald aufgeben zu müssen. Wie Trafigura pflegte auch sein portugiesischer Partner Mota Engil Beziehungen zu regimenahen Personen. An seiner angolanischen Tochtergesellschaft war zwischen Mai 2014 und September 2022 Sonangol Holdings beteiligt (mit 20 %). Und ihr Leiter Manuel Vicente, Angolas «Mister Erdöl», hatte die Diversifizierungsstrategie der staatlichen angolanischen Ölgesellschaft unterstützt. Sonangol verkaufte seine Anteile an der Tochtergesellschaft zwei Monate nach der Vergabe der Konzession an das LAR-Konsortium. Zu den weiteren Aktionären von Mota Engil gehörten laut dem angolanischen Medium «O Telegrama» die angolanischen Banken Finicapital (15%) und Banco Millennium Atlântico (5%), beide im Besitz von Carlos Silva. Dieser portugiesisch-angolanische Geschäftsmann steht Manuel Vicente nahe, hat er doch einen Bestechungsplan finanziert, der darauf abzielte, ein Strafverfahren gegen den hohen Beamten in Portugal einzustellen. Der korrupte Staatsanwalt wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, doch in Angola gehen Manuel Vicente und Carlos Silva weiterhin ihren Geschäften nach.
Das ist nur scheinbar ein Widerspruch, wie Professor Heitor Carvalho erklärt: «Gerichtsverfahren im Ausland haben in Angola keinen Einfluss. Dort werden die Bestechenden verurteilt, hier gehen die Bestochenen ihrem Alltag nach.»
Am Endbahnhof von Luau ist es jeden Donnerstag die gleiche Geschichte. Der Zug der Caminho de Ferro hat nur zwei Drittklass-Wagen und wenn das Wochenende naht, laufen die Reisenden Gefahr, in dieser unspektakulären Grenzstadt zwischen Angola und der Demokratischen Republik Kongo stecken zu bleiben. Bei Ankunft des Zugs im Bahnhof ist die Spannung also bereits greifbar, als plötzlich ein seitlicher Regen auf den Bahnsteig niederprasselt. Der perfekte Sturm.
Unter Schreien und Weinen werden die Menschen, die seit Stunden in einer Schlange warten, von den Sicherheitskräften zurückgedrängt, sodass nur eine Handvoll Privilegierter passieren kann. Die meisten werden die siebenstündige Reise nach Luena stehend verbringen, zusammengequetscht in einem heissen Waggon. Die Polizei erlaubt uns nicht, diesen Moment zu dokumentieren. «Sie wollen nicht, dass Sie die Situation zeigen», sagt ein Angestellter der Bahngesellschaft.
Nachdem sie die Anwesenheit derer, die «den Platz der Angolaner einnehmen», lautstark verhöhnt hat, stimmt eine junge Mutter von zwei Kindern in der Euphorie des Waggons ein leidenschaftliches Lied über den Kampf für die Unabhängigkeit Angolas an, Velha Chica. Das alte Mädchen, die Grossmutter des Volkes, die die Wäsche der wichtigen Männer wusch, überbringt den zukünftigen Generationen noch immer diese Botschaft: «Xé menino, não fala política» (Hey Junge, rede nicht über Politik).
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Impressum
Text: Adrià Budry Carbó, in Zusammenarbeit mit Manuel Abebe
Übersetzung: Jessica Hendry
Redigat: Romeo Regenass
Fotos & Videos: Tommy Trenchard / Panos Pictures
Karten: Fabian Lang
Webumsetzung: Fabian Lang, Rebekka Köppel