Der Fluch der Saphire
Schweizer Schmuck- und Uhrenmarken beschaffen ihre Saphire heute zum grössten Teil aus Madagaskar. Doch der madagassische Staat und die Minenarbeiter, welche die wertvollen Edelsteine unter unmenschlichen Bedingungen von Hand abbauen, profitieren kaum von diesen Schätzen, die meist mithilfe von Bestechungsgeldern exportiert werden. Eine Feldstudie.
Vor uns tut sich eine Marslandschaft auf: rote Erde, von unzähligen Löchern zerfressen. Die Schächte haben einen Durchmesser von 100 Zentimetern; darüber ist jeweils ein primitiver Flaschenzug mit Holzbrettern installiert, mit dem die Minenarbeiter bis auf den Grund der Mine hinuntergelassen werden. Wenn sie wieder hochkommen, von grauem Staub bedeckt, sehen sie aus wie Zombies aus einer anderen Welt.
Andere graben mit Schaufeln und pumpen das rötliche Wasser mit knatternden Motorpumpen ab. Jedes Team wird von einem Wachmann mit Gewehr begleitet, der die Arbeit überwacht. Der entnommene Kies wird in Säcke abgefüllt und von den Männern auf dem Rücken zum Fluss getragen, wo er in einem Sieb gewaschen wird, in der Hoffnung, einen Edelstein zu finden.
«Heute haben wir fünf Saphire gefunden, in Rosa, Weiss und Blau», verrät uns Robelfin, ein 30-jähriger Minenarbeiter in einem Iron-Man-T-Shirt, und zeigt auf kleine bunte Steine. «Heute Abend werde ich sie in der Stadt verkaufen. Aber den Gewinn teilen wir uns zu viert. Heute werde ich nicht zum Milliardär», scherzt er. Bis vor drei Wochen arbeitete Robelfin noch als Barkeeper in einem Klub am Strand von Mangily. Er kam hierher, weil er, wie viele andere auch, Gerüchte über eine neue Saphirmine gehört hatte.
Sie heisst Be Mandresy und wurde gerade erst vor drei Wochen eröffnet. Ein Bauer aus der Gegend fand einen Saphir und rief daraufhin seine Grossfamilie herbei. Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer, und fast 1000 Bergleute schürfen nun in diesem Gebiet inmitten der Savanne im Süden Madagaskars. Auf der Strasse dorthin, einer holprigen Schotterpiste zwei Stunden von der RN7 entfernt, der einzigen geteerten Strasse des Landes, trifft man regelmässig auf überfüllte Buschtaxis, deren Dächer mit den spärlichen Besitztümern jener bedeckt sind, die ebenfalls davon träumen, Saphire zu finden.
Neben der Mine ist ein Dorf mit einigen Hütten aus Astwerk entstanden. In grossen Töpfen bereiten die Frauen über dem Feuer das Essen zu. Kinder, manche mit aufgeblähten Bäuchen, spielen Fangen. Die älteren Kinder sind zum Fluss gegangen, um ihren Eltern beim Sieben der Kiesel zu helfen. In diesem Dorf, das wie ein Pilz aus dem Boden geschossen ist, gibt es keine Schulen, keinen Strom und keine Latrinen.
Die Mine liegt im Herzen der Bergbauregion Ilakaka, einem 4000 Quadratkilometer grossen Gebiet, das eines der grössten Saphirvorkommen der Welt beherbergt. Es wurde 1998 entdeckt und ist heute eine der weltweit wichtigsten Quellen für diese Edelsteine, auch für die grossen Schweizer Schmuck- und Uhrenmarken.
Zehntausende von Minenarbeitern im traditionellen
Kleinstbergbau leben dort mit einigen Hundert
ausländischen Käufern zusammen. Sie stammen
aus Sri Lanka und Thailand, aber auch aus der Schweiz.
Diese Zwischenhändler exportieren die Rohsteine unter
Umgehung der offiziellen Kanäle und mithilfe von Bestechungsgeldern nach Sri Lanka und Thailand. Dort
werden die Steine geschliffen und mit grossem Gewinn
weiterverkauft, bevor sie in die Hände von Luxusgüterherstellern
gelangen, darunter der Genfer Konzern Richemont (dem unter anderem die Marke Cartier gehört), das Luzerner Unternehmen Bucherer (das kürzlich von Rolex übernommen wurde), Harry Winston (gehört zum Swatch-Konzern) oder der Luzerner Juwelier Gübelin.
Nachdem sie Erde und Kiesel aus dem Boden geholt haben, waschen die Minenarbeiter von Be Mandresy diese unter den wachsamen Augen ihrer bewaffneten Kollegen im Fluss.
Nachdem sie Erde und Kiesel aus dem Boden geholt haben, waschen die Minenarbeiter von Be Mandresy diese unter den wachsamen Augen ihrer bewaffneten Kollegen im Fluss.
Madagaskar dominiert weltweite Produktion
Der Saphir gehört wie der Rubin und der Smaragd zu den Farbedelsteinen. Die Sorten Königsblau und Padparadscha, ein oranges Rosa, das bei Sonnenaufgang wie eine Lotusblüte aussehen soll, sind die begehrtesten. Saphire in Schmuckqualität kommen traditionell aus Kaschmir im indischen Himalaja, aus Thailand und Sri Lanka. «Die Minen in diesen Ländern sind jedoch grösstenteils erschöpft», erklärt uns Elke Berr, eine Edelsteinhändlerin aus Genf. In Sri Lanka haben zudem politische Turbulenzen und strengere Umweltauflagen die Produktion gebremst. In Myanmar, wo es weniger grosse Vorkommen gibt, finden die Edelsteine seit dem Embargo, das 2021 gegen die Militärjunta verhängt wurde, kaum Absatzmärkte.
In jüngerer Zeit wurden Saphire in Ruanda, Tansania, Kenia und Madagaskar entdeckt. Letzteres dominiert nun die weltweite Produktion mit 40 bis 60% der Gesamtmenge. Auf globaler Ebene herrscht ein Mangel an Saphiren. «Das hat dazu geführt, dass sich die Preise zwischen 2005 und 2015 verdreifacht haben», berichtet Elke Berr. Ein Phänomen, das durch die steigende Nachfrage der neuen Mittelschichten in China und Indien sowie durch die wachsende Beliebtheit von Farbedelsteinen als sicherem Hafen für Investor*innen noch verstärkt wird.
Die Existenz von Edelsteinen in Madagaskar ist zwar seit der französischen Kolonialzeit bekannt. Mit dem Abbau wurde jedoch erst begonnen, als 1994 in Andranondambo, ganz im Süden des Landes, blaue Saphire von aussergewöhnlicher Qualität gefunden worden waren. 1998 wurde das Vorkommen Ilakaka entdeckt.
Ilakaka die Schreckliche zog auch Schweizer an
Hunderte von Minenarbeitern strömten daraufhin in die Wüstenregion. Aus einer Siedlung mit etwa 40 Einwohner*innen entstand eine Kleinstadt mit mindestens 60'000 Menschen.
Ilakaka entwickelte sich zu einer gesetzlosen Zone mit «Männern, die mit einer Pistole an der Hüfte herumlaufen», «bewaffneten Angriffen auf Madagassen und Ausländer, die kürzlich einen wertvollen Edelstein gekauft oder verkauft haben», und korrupten Polizisten, «die ihre Schusswaffen an Banditen vermieten», wie der US-Botschafter in einer diplomatischen Note vom 19. März 2008 berichtete, die von Wikileaks enthüllt wurde. Im Januar 2007 wurde Osama bin Ladens Schwager Mohammed Jamal Khalifa in Ilakaka nach einem schiefgelaufenen Saphirverkauf ermordet.
Neben den Käufern aus Sri Lanka und Thailand, die seit Beginn des Rausches in Scharen gekommen sind, liessen sich in dieser wilden Phase auch mehrere Schweizer in Ilakaka nieder. Ein Zürcher, der sein Vermögen mit dem Handel von Edelsteinen in Tansania gemacht hatte, flog einmal die Woche aus der Hauptstadt Antananarivo dorthin, wie ein SRF-Dokumentarfilm aus dem Jahr 2000 berichtet. «Er landete mit seinem Kleinflugzeug in der Nähe von Ilakaka und begab sich in Begleitung mehrerer bewaffneter Leibwächter zu seinem Einkaufstresen», erinnert sich Vincent Pardieu, ein französischer Gemmologe, der das Ilakaka-Vorkommen seit den Anfängen beobachtet.
Dort erwartete den Händler bereits eine Schar von Menschen. «Er kam mit Taschen voller Banknoten und kaufte alles, ohne zu sortieren oder zu verhandeln», berichtet Rémy Canavesio, ein französischer Anthropologe, der wiederholt vor Ort war. Zurück in Antananarivo teilte der Zürcher seinen Schatz mit einem anderen Schweizer, dem Berner Alex Leuenberger, der 1996 nach seinem Studium nach Madagaskar gezogen war. «Er liess mich die Steine aussuchen, aber er legte den Preis fest», sagt dieser. Die Edelsteine wurden dann an Grosshändler in Japan, den USA, Thailand und Europa verkauft. Später hat der Zürcher in Bangkok den auf Edelsteine spezialisierten Onlineshop Multicolour Gems gegründet. Auf Anfrage wollte er sich nicht äussern.
Der Saphirspezialist aus Thun
Alex Leuenberger hatte sich in Ilakaka niedergelassen, um dort mit Unterstützung der Firma Pink Valley eine mechanisierte Mine zu betreiben. Er erinnert sich: «Damals hatten wir 14 Lastwagen, 8 bis 10 Bagger und einen Bulldozer. Wir wuschen 2000 Kubikmeter Kies pro Tag.» Aber die Kosten waren offenbar exorbitant hoch. «Wir mussten 200'000 bis 280'000 US-Dollar pro Monat aufbringen, nur um alles am Laufen zu halten», sagt er. Im Jahr 2004 ging die Mine in Konkurs, wie er erzählt.
Leuenberger kehrte in die Schweiz zurück, wo er in der Nähe von Thun die Firma ALine GmbH gründete, ein auf den Ankauf und Weiterverkauf von Edelsteinen spezialisiertes Unternehmen. Es wurde zu einem der wichtigsten Zulieferer der Schweizer Schmuck- und Uhrenindustrie mit Schweizer und internationalen Kunden wie Cartier, Gübelin, Bulgari, Tiffany, Louis Vuitton, Dior und Chanel. Die in Madagaskar gewonnenen Rohsteine werden in seiner Werkstatt in Bangkok und von der sri-lankischen Firma Sapphirus Lanka geschliffen.
Die Firma Aline zählte lange Zeit einen anderen Schweizer, den Genfer Marc Noverraz, zu ihren Lieferanten für madagassische Saphire. Der gelernte Schlosser war in ganz Afrika auf der Suche nach Gold, Smaragden und Diamanten für die Schweizer Uhrenindustrie unterwegs, bevor er sich 1996 in Madagaskar niederliess. «Ich kam mit 3000 Franken, meinem Schweizer Taschenmesser und einer aus Autoteilen hergestellten Schleifmaschine an», erinnert er sich. 1998 hörte er von dem Ansturm auf Ilakaka. «Sechs Monate später war ich dort», erzählt er. «Das hat mein Leben verändert. Am Anfang kauften wir die Saphire becherweise.»
Zusammen mit Daniel Grondin, einem Franzosen, den er in der Schweiz kennengelernt hatte, versuchte er sich ebenfalls im mechanisierten Abbau an einem abgelegenen Ort und gründete 2003 die Firma Dream Stone Trading. Doch wie Alex Leuenberger hatten auch die beiden Männer mit hohen Betriebskosten zu kämpfen. Nach drei Jahren gaben sie auf und konzentrierten sich darauf, Steine von selbstständigen Minenarbeitern zu kaufen. Zu ihren Kunden zählen die Firma Aline, aber auch die Schweizer Juweliere Gübelin oder Frieden sowie Grosshändler in den USA und Japan.
Ein Minenarbeiter, der seine Kinder nicht ernähren kann
Zurück nach Ilakaka: Wenn man auf dem Abschnitt der RN7 fährt, der die Region in zwei Hälften teilt, scheint ihre Wildwest-Vergangenheit weit weg zu sein. Entlang der Strasse reihen sich kleine Hütten, die Überweisungen mit mobilen Geldtransferdiensten anbieten. Frauen, deren Gesichter zum Schutz vor der Sonne mit einer gelben Paste bedeckt sind, gehen mit Körben voller Fisch, frittierter Donuts und Tomaten auf dem Kopf vorbei. Die Stadt verfügt nun über Schulen, einen Polizeiposten und eine Krankenstation. Dank einem Solarkraftwerk wird Ilakaka rund um die Uhr mit Strom versorgt.
Wenn man sich jedoch in die angrenzenden Gassen wagt, weicht der Asphalt der nackten Erde auf unbefestigten Wegen, die wie in einem Slum von Holz- und Blechhütten gesäumt sind. Ein Plakat wirbt für eine Bar namens «Les Jokers» mit ihren Spielautomaten. Weiter hinten liegt ein umgestürztes Auto, dessen Sitze blutgetränkt sind. Am Abend zuvor hatte eine Gruppe von Bergarbeitern, berauscht von einem Edelsteinverkauf, ein Trinkgelage veranstaltet, bevor sie sich ans Steuer setzten. Vor einigen Tagen wurde ein Wachmann erschossen. Die Gewalt ist zwar weniger sichtbar, aber nicht verschwunden.
Die Sonne ist gerade aufgegangen. Kinawate, ein 54-jähriger Bergarbeiter, der 1999 nach Ilakaka kam, ist bereits unterwegs. Mit einer Schaufel und einem Strahlstock, einer spitz zulaufenden Eisenstange, macht er sich auf den Weg in Richtung der Minen. Ein grosser, hagerer Körper, schwielige, von der Arbeit gezeichnete Hände und ein warmes Lächeln. Dieser Familienvater, der früher auf einem Fischerboot im Norden des Landes gearbeitet hat, geht schnell, aber nicht hastig. Als er in einer grossen, von Löchern durchzogenen Savannenlandschaft ankommt, macht er sofort die Mine aus, die er mit einem Kollegen betreibt.
Kinawate ist unabhängig. «Ich finanziere mich selbst, aber dafür kann ich alles behalten, was ich für die Edelsteine kriege», erklärt er. Normalerweise verkauft er die Steine an madagassische Händler mit gefälschten Rolex und ausgeleierten Anzügen, die in der Nähe der Minen zu finden sind. Sie kaufen die Steine von den Minenarbeitern und verkaufen sie dann zum fünffachen Preis an Edelsteinhändler aus Sri Lanka oder Thailand, die in der Region ansässig sind.
Einige Minenarbeiter schliessen einen Vertrag mit einem «Patron» aus Madagaskar oder Sri Lanka, der sie mit Reis, Öl und Werkzeugen versorgt. Im Gegenzug überlassen sie ihm bis zu 50% des Erlöses von jedem verkauften Edelstein. Andere erhalten einen täglichen Lohn, aber keinen Anteil an den Saphiren.
Kinawate baut zunächst einen Flaschenzug aus Holz auf, der mit einem halben Plastikkanister verbunden ist. Die Mine wird nur von ein paar Holzringen und einem Bündel Zweige abgestützt. Der Sand- und Lehmboden ist jedoch brüchig, und Unfälle sind häufig. «Vor zwei Monaten habe ich einen Freund verloren», erzählt er. «Als der Stollen einbrach, wurde er lebendig begraben. Wir haben stundenlang nach ihm gegraben, aber ohne Erfolg.» Wenn er unter die Erde geht, versucht er, nicht an die Gefahr zu denken. «Sonst könnte ich nicht mehr arbeiten», gesteht er.
Ausgestattet mit einer Fackel und seiner Eisenstange lässt sich Kinawate mithilfe des Flaschenzugs bis auf den Grund der Mine hinuntergleiten. Sie ist etwa 10 Meter tief. Er gräbt senkrecht nach unten, bis er die edelsteinhaltige Schicht erreicht, eine Mischung aus Kieselsteinen und Saphiren, die von einem Lalan-Bato (Strasse der Steine) genannten prähistorischen Fluss angeschwemmt wurden, und räumt dann waagrecht verlaufende Stollen aus.
Die Stollen sind so eng, dass die Minenarbeiter kriechen müssen. Es herrscht brütende Hitze. «Normalerweise verbringe ich vier Stunden unter der Erde, bevor ich an meinen Kollegen übergebe», sagt Kinawate. In manchen Gebieten muss man bis zu 30 oder 40 Meter tief graben, um die edelsteinhaltige Schicht zu erreichen. In dieser Tiefe herrscht Sauerstoffmangel, und es kann zu giftigen Gasblasen kommen. Die Bergleute nutzen daher ein selbstentwickeltes System aus Plastiktüten, die mit einem Schlauch verbunden sind, den eine Person an der Oberfläche mit Luft füllt und komprimiert, um Sauerstoff in die Tiefe der Mine zu schicken.
Wie alle Minenarbeiter in Ilakaka ist auch Kinawate in seinem Traum gefangen, den Stein zu finden, der ihn reich machen wird. In diesem Land, in dem 70% der Bevölkerung von weniger als 2 US-Dollar pro Tag leben und das von Dürren und Hungersnöten geprägt ist, gibt es kaum andere Möglichkeiten zum Überleben. «Das Leben hier ist hart», sagt Kinawate.
«Wenn ich könnte, würde ich nach Hause gehen. Aber ich habe nicht einmal das Geld, um das Busticket zu bezahlen. Und ich kann nicht mit leeren Händen ins Dorf zurückkehren. Das wäre eine Schande.»
Sein bester Fang war ein 7 Gramm schwerer Saphir, der für 50 Millionen Ariary (9920 Franken) verkauft wurde. «Aber diesen Betrag teilten wir unter sechs Kollegen auf, sodass wir nur etwas mehr als 8 Millionen Ariary (1650 Franken) pro Person erhielten», erklärt er. «Nicht genug, um ein Leben zu verändern.»
«Schweizer Bank» mit Potenzial
Kinawate kann zumindest davon träumen, reich zu werden. Das gilt nicht für das Dutzend Männer, die unter der sengenden Sonne einen Tagebau mit einem Durchmesser von etwa 50 Metern ausheben. Sie arbeiten im Takt wie am Fliessband und werfen grosse Schaufeln roter Erde hinter sich. Diese Technik kommt zum Einsatz, wenn sich die Edelsteinschicht unter dem Grundwasserspiegel befindet. Das Gelände am Rande von Ilakaka wird aufgrund seines Potenzials als «Schweizer Bank» bezeichnet.
«Ich verdiene 10'000 Ariary pro Tag [2 Franken]», erzählt Sarobidy, ein 18-Jähriger, der mit seinem Vater in der Mine arbeitet, seit er 15 ist. «Wenn ich komme, werde ich bezahlt, wenn nicht, dann nicht.» Sein Fall ist nicht ungewöhnlich. Die Kinder helfen ihren Eltern ab dem Alter von 5 Jahren dabei, den in den Minen geschürften Kies zu sortieren und zu waschen. Ab 15 Jahren gelten sie als Erwachsene und gehen unter die Erde.
Der Tag neigt sich dem Ende zu. Kinawate und sein Kollege packen den Kies in Zementsäcke und tragen diese auf ihren Rücken zum Fluss. Jeder Sack wiegt 40 bis 50 Kilogramm.
Am Ufer angekommen, waschen sie die Kieselsteine auf einem primitiven Sieb. Dann untersuchen sie die kleinen runden Steine und heben sie in der Hoffnung, einen von ihnen in der Sonne glitzern zu sehen, handvollweise hoch, bis auch der letzte Sack leer ist.
«Okay, da ist nichts.»
Kinawate hat Mühe, seine Enttäuschung zu verbergen. «Seit drei Monaten haben wir keinen Stein mehr gefunden», sagt er. «Und trotzdem müssen wir jeden Tag essen.»
Er macht sich auf den Weg nach Ilakaka, wo er in einer Holzhütte lebt, deren einzige Möbel ein Bett und ein alter Stuhl sind. Seine Frau Jacqueline sitzt auf dem Boden und bügelt mit einem kohlebeheizten Bügeleisen Kleidung. Für umgerechnet 1 Franken pro Tag wäscht und bügelt sie die Kleider der Nachbarn. Ihre Töchter Lianah, 8 Jahre, und Kalicia, 17 Jahre, sitzen auf dem Bett. Letztere spielt mit ihrem sieben Monate alten Baby. Da Kinawate in der Mine nichts gefunden hat, müssen sie warten, bis Jacqueline ihre Arbeit beendet hat, um sich etwas zu essen kaufen zu können.
Jungunternehmer setzt auf Abbau in grossem Stil
Bisher vom handwerklichen Bergbau dominiert, steht der Saphirrausch in Ilakaka kurz vor einem Umschwung. «Die meisten Edelsteine an der Oberfläche sind abgebaut», meint der Gemmologe Vincent Pardieu. «Die Zukunft liegt im gross angelegten mechanisierten Abbau. Dies wird es ermöglichen, die Saphire in grösserer Tiefe zu erreichen.»
Diese Aussicht hat den Appetit von Guillaume Ah Thion geweckt, einem chinesisch-madagassischen Jungunternehmer, der eine Geschäftsbeziehung mit dem Berner Edelsteinimporteur Alex Leuenberger aufgebaut hat. Kürzlich hat er mit seinem Bruder das von seinem Vater gegründete Bergbauunternehmen Gondona übernommen. Das Gelände am Ende einer Schotterpiste sieht aus wie eine grosse Narbe, welche die Savanne in zwei Hälften teilt. Zwei Bagger haben die wenigen Meter «unfruchtbare» Erde über der Edelsteinschicht abgetragen und einen langen Schlauch in die sandige Erde gegraben. Eine Pumpe pumpt fleissig türkisfarbenes Wasser ab.
In der Nähe von Ilakaka hat die mechanisierte Mine von Gondona die Landschaft umgestaltet.
In der Nähe von Ilakaka hat die mechanisierte Mine von Gondona die Landschaft umgestaltet.
«Dieser Kanal folgt dem Verlauf des prähistorischen Flusses», erklärt der 23-Jährige. Nach der Entnahme trocknet das Geröll eine Nacht lang unter dem wachsamen Auge eines bewaffneten Wachmanns an der Luft und wird dann auf einen der Lastwagen verladen, welche die Schotterpiste zum Fluss hinunterrollen. Dort wird das Geröll in eine Waschanlage geleitet, die wertlose Kiesel in den Fluss spuckt, der mittlerweile beige und trübe geworden ist. «Was uns interessiert, befindet sich hier», erklärt Guillaume Ah Thion und deutet auf zwei umgekehrte Kegel unter der Maschine, in denen Steine mit einer Dichte von 3 bis 5, der Dichte von Saphiren, gesammelt wurden. Er wird daraus 20 bis 30 Säcke gewinnen, die von Hand sortiert werden.
Gondona hat bereits mit der Erkundung eines weiteren Standorts begonnen, der in einem abgelegenen Gebiet eineinhalb Autostunden entfernt liegt. «Sie haben das gesamte Tal in der Nähe von Ilakaka umgegraben», erzählt Rémy Canavesio. «Vor allem haben sie einen Wald entlang einem der Flüsse zerstört.» Die Bevölkerung von Ilakaka beklagt sich ausserdem darüber, dass der Wasserstand der Brunnen gesunken ist, seit Gondona vor etwa fünf Jahren mit den gross angelegten Operationen begonnen hat. «Davon hat man mir nie etwas gesagt», reagiert Guillaume Ah Thion, der allerdings zugibt, dass seine Minen den Grundwasserspiegel an einigen «vereinzelten» Stellen gesenkt haben.
Hungerlohn von 47 Franken im Monat
Die Beschäftigten, von denen einige in Hütten neben der Mine leben, sind angestellt. «Wir haben 200 bis 250 Angestellte, sie verdienen zwischen 50 und 2000 US-Dollar im Monat», sagt Guillaume Ah Thion. Die meisten von ihnen erhalten allerdings nur den madagassischen Mindestlohn von 238'000 Ariary, was etwa 47 Franken entspricht. Der Mindestlohn «ist selbst im afrikanischen Vergleich niedrig und wurde einseitig von der Regierung ohne Verhandlungen mit den Gewerkschaften durchgesetzt», kritisiert Barson Rakotomanga, ein führender Gewerkschaftsvertreter.
Das Haus der Familie Ah Thion ist aus honigfarbenen Ziegeln gebaut, hat eine grosse Terrasse und einen Swimmingpool und fällt somit in der Umgebung auf. «Alle zehn Tage veranstalten wir hier Auktionen mit sri-lankischen Käufern aus der Gegend», sagt der junge Besitzer und zeigt auf Plastiktüten mit Losen von Saphiren, die nach Karat sortiert sind und die er gerade aus einem riesigen Tresor geholt hat. Seine schönsten Stücke legt er jedoch für Leuenbergers Firma ALine GmbH und das französische Unternehmen Piat beiseite, das unter anderem Rolex, Cartier, Van Cleef & Arpels und Hermès beliefert und eine Filiale in Genf hat.
Zwar ist Gondona derzeit die einzige Firma, die in Ilakaka maschinell abbaut, doch das dürfte sich bald ändern. Die britische Gemfields-Gruppe, die Smaragdminen in Sambia und Rubinminen in Mosambik besitzt, hat bereits begonnen, eine Niederlassung in Ilakaka zu sondieren. Diesen Sommer hat Gemfields jedoch die britische Justiz eingeschaltet und Romy Andrianarisoa angezeigt, die damalige Stabschefin von Präsident Andry Rajoelina, die vom Konzern umgerechnet rund 250'000 Franken Bestechungsgeld für eine Bergbaukonzession verlangt hatte.
Dies ist zwar der erste Korruptionsfall dieser Grössenordnung, der in der madagassischen Saphirindustrie aufgedeckt wurde. Aber Bestechungsgelder sind auch in anderen Wirtschaftszweigen in dem Land üblich, das von Transparency International auf der Korruptionsrangliste auf Platz 142 von 180 gesetzt wurde. Der Konkurrent von Gemfields, das in Dubai ansässige Unternehmen Fura Gems, ist ebenfalls an der Region interessiert.
Einkäufer aus Sri Lanka macht «im Schnitt 400 % Gewinn»
Es ist 15.30 Uhr. Kurz hinter Ilakaka, auf der RN7, beginnt sich Sakaviro zu beleben. Die Ansammlung von Holzhütten und festen Häusern, die wie befestigte Minipaläste aussehen, wurde vor einigen Jahren aus dem Boden gestampft und ermöglicht es Einkäufern aus Sri Lanka und Thailand, die schönsten Steine zu erwerben, noch bevor diese auf ihrem Weg aus der Mine Ilakaka erreichen. Jeden Tag zwischen 16 Uhr und dem Einbruch der Dunkelheit füllt sich Sakaviro mit Minenarbeitern, die auf der Suche nach dem besten Preis von einem Einkaufstresen zum nächsten gehen. Die Stimmung ist hektisch. Der Geruch von Geld liegt in der Luft.
«Ich will 750'000 Ariary [148 Franken]», fordert ein Madagasse und wirft einen rosafarbenen Saphir auf das weisse Plastiktablett, das vor einem thailändischen Einkäufer steht. Dieser begutachtet den Stein mithilfe eines Helms mit Lupengläsern und misst ihn mit einem Metermass. «Ich gebe dir 600'000», ist die Antwort. «Okay, Deal.»
Der nächste Minenarbeiter hat einen blaugrauen Stein, für den er 5 Millionen Ariary (990 Franken) verlangt. Diesmal lässt sich der Thailänder Zeit. Er taucht den Edelstein in eine Schüssel mit Wasser, wiegt ihn (4,5 Gramm) und untersucht ihn mit einer Minibrille. Er erklärt: «Ich achte auf die Farbe, die Form, die Grösse und die Klarheit des Steins. Ich achte auch auf Risse oder Blasen.» Schliesslich bietet er 1 Million Ariary. «Kannst du den Preis erhöhen?» «Nein.» «Dann akzeptiere ich ihn eben.»
Eine der prächtigsten Schaufensterauslagen gehört World Gems. «Wir kaufen alles, von kleinen Steinen für den Massenschmuck bis hin zu aussergewöhnlichen Stücken für die Haute Joaillerie», sagt Kizwan, 45, der vor zwei Monaten aus Colombo gekommen ist. Er sagt, er sei bereit, bis zu 100 Millionen Ariary (19 790 Franken) für einen schönen blauen Saphir zu bezahlen.
Anders als bei Diamanten oder Gold gibt es für den Preis von Saphiren keine klaren Kriterien. Er hängt von wenig greifbaren Faktoren ab, die viel Interpretationsspielraum bieten. Die Minenarbeiter wissen auch nicht, wofür die Steine, die sie den ganzen Tag suchen, verwendet werden. Von dem Dutzend Befragten wusste nur einer, dass Saphire zur Herstellung von Schmuck verwendet werden. Diese Unwissenheit ist ein grosser Nachteil für sie. «Es ist nicht ungewöhnlich, dass ihnen ein Preis angeboten wird, der 50% zu niedrig ist», sagt Alex Leuenberger.
Mohamed Ifthikar, der Chef von Suranga Gems, der im Jahr 2000 aus Ratnapura, der wichtigsten Edelsteinregion Sri Lankas, nach Ilakaka kam, ist einer der Gewinner des Systems. «Die Geschäfte laufen gut», lässt er verlauten. «Die Minenarbeiter sind etwas besser informiert als zu Beginn des Runs, aber ich mache immer noch durchschnittlich 400% Gewinn mit den Edelsteinen, die ich von hier kaufe.»
Angesichts der Marktmacht der Händler aus Sri Lanka und Thailand wurden die anderen Akteure, die in der Region tätig waren, nach und nach verdrängt. So erging es auch dem Genfer Marc Noverraz, der nicht mit ihren Preisen mithalten konnte. Im Jahr 2007 beschloss er, einen anderen Weg einzuschlagen, und schuf eine Schmucklinie namens Colorline, die von zwei madagassischen Edelsteinschleifern hergestellt wird, die er in den Techniken der Juwelierkunst ausbildete. Diese Kreationen sind in einem grossen weissen Haus im Herzen von Ilakaka ausgestellt. vor dem Shoppen besichtigen Tourist*innen das Abbaugebiet «Schweizer Bank».
Daniel Grondin, der Mann der ersten Stunde, hat mit Guillaume Ah Thion ein Joint Venture namens FairGems gegründet, das eine kleine Werkstatt zum Schleifen von Steinen in Antananarivo betreibt. Mit ölgeschwärzten Händen arbeiten dort zwei Handwerker, die ihre Werkzeuge mit Kerzen erhitzen, bevor sie die rohen Steine auf einem Schleifstein polieren. «Wir schleifen 10 bis 15 Stücke pro Tag», sagt Grondin. Er beliefert Kunden im Nahen Osten, in China, Indien und Russland sowie Juweliere an der Place Vendôme in Paris. Auch Alex Leuenberger kauft Steine bei ihm.
Bürokratie erschwert den legalen Export
Wie alle, die in Madagaskar Edelsteine kaufen, sieht er sich mit einem kafkaesken Ausfuhrverfahren konfrontiert. «Wir müssen 10 bis 15 Tage für die bürokratischen Schikanen einplanen», sagt er.
«Auf jeder Etappe des Prozesses werden wir um Bestechungsgelder gebeten, um einen Stempel oder ein offizielles Dokument zu erhalten.»
Ausserdem ändert die Regierung immer wieder die Spielregeln. Während der Covid-19-Krise wurden die Edelsteinexporte ausgesetzt - eine Beschränkung, die erst im September 2022 wieder aufgehoben wurde. Bereits zwischen 2008 und 2010 war der Export von Edelsteinen aufgrund einer einseitigen Entscheidung der Regierung von Marc Ravalomanana für zwei Jahre gestoppt worden. Das Ergebnis: «Es ist fast unmöglich, Steine auf legale Weise aus Madagaskar herauszubringen», sagt Rébecca Michelot, die Vorsitzende der Westschweizer Sektion der Schweizerischen Gemmologischen Gesellschaft. Daniel Grondin bestätigt: «Wenn man alles deklariert, ist man tot.»
Dies hat ein Parallelsystem entstehen lassen, das von der überwiegenden Mehrheit der Edelsteinexporteure genutzt wird. Konkret bedeutet dies, dass sie gefälschte Ausfuhrdokumente von den Beamt*innen erhalten, die für die offiziellen Ausfuhrverfahren zuständig sind. «Es sind die gleichen Leute und die gleichen Stempel, aber es kostet viermal weniger und geht schneller», sagt Daniel Grondin.
«Am Flughafen einigen sich die Zollbeamt*innen und Polizist*innen darauf, die rohen Steine durch die Abfertigung zu schleusen, und die Händler holen sie ab, kurz bevor sie ins Flugzeug steigen», beschreibt Alex Leuenberger. Auf jeder Etappe des Prozesses werden Bestechungsgelder gezahlt.
Obwohl ausländische Käufer*innen von Edelsteinen in der Regel von diesen illegalen Kanälen wissen, wird die Umsetzung den im Land ansässigen Vermittlern, insbesondere aus Sri Lanka, überlassen. «Wir lassen sie die Drecksarbeit machen, damit wir uns nicht die Hände schmutzig machen müssen», verrät ein Genfer Edelsteinhändler.
In der Hauptstadt Antananarivo werden die Saphire in kleinen Ateliers geschliffen, die zum Teil in der Hand von Franzosen und Schweizern sind. Die Steine werden in Hotels und Boutiquen in Madagaskar verkauft, zum grossen Teil aber exportiert.
In der Hauptstadt Antananarivo werden die Saphire in kleinen Ateliers geschliffen, die zum Teil in der Hand von Franzosen und Schweizern sind. Die Steine werden in Hotels und Boutiquen in Madagaskar verkauft, zum grossen Teil aber exportiert.
Madagaskar profitiert kaum vom Export
Dies führt dazu, dass die Exportzahlen verzerrt werden.
«Offiziell exportiert Madagaskar praktisch keine
Edelsteine», kritisiert Rémi Botoudi, Generalsekretär
des Gewerkschaftsbundes Sekrima. «Das bedeutet, dass
die Einnahmen aus dieser Tätigkeit nicht in den Staatskonten
auftauchen und wir als Nation nicht von den
Exportsteuern profitieren.» Im Jahr 2022 habe die grosse Insel laut der Statistik der Vereinten Nationen Edelsteine (Rubine, Smaragde und Saphire) im Wert von 60’179 US-Dollar exportiert. Im Jahr 2019, vor den Beschränkungen im Zusammenhang mit Covid-19, waren es angeblich 210'088 US-Dollar. Tatsächlich aber exportiert Madagaskar nach verschiedenen Schätzungen allein Saphire im Wert von etwa 150 Millionen US-Dollar pro Jahr.
Wenn die Saphire Madagaskar verlassen, reisen sie meist nach Sri Lanka. Dort werden sie geschliffen und minderwertige Edelsteine auf über 1500 Grad erhitzt, um die Farbe kräftiger zu machen oder Einschlüsse aufzulösen und die Klarheit zu erhöhen.
Sie werden dann an thailändische Grosshändler verkauft. Der Gemmologe Vincent Pardieu stellt fest: «Fast alle diese Steine kommen auf ihrem Weg irgendwann durch Bangkok.» Die Stadt ist in der Tat zu einem weltweiten Zentrum für den Handel mit farbigen Edelsteinen geworden, ähnlich wie New York und Antwerpen für Diamanten.
In Bangkok werden sie von Zwischenhändlern aufgekauft, die sie zu ihren endgültigen Bestimmungsorten bringen. Die schönsten Stücke werden auf internationalen Messen wie der GemGenève oder den Messen in Hongkong, Las Vegas und Tucson ausgestellt, bevor sie in den Ateliers der grossen Schmuck- und Uhrenmarken landen.
Traumschmuck aus Alptraumsteinen
Das Gem Lab liegt im Obergeschoss des achteckigen Gebäudes, in dem sich das Hauptquartier von Gübelin im Luzerner Maihofquartier befindet, und sieht eher aus wie das Büro eines Start-ups als wie ein Labor. An ihren Computern sitzen Gemmolog*innen, die mit komplizierten Berechnungen beschäftigt sind, um den Ähnlichkeitsgrad der ihnen anvertrauten Steine mit der Referenzsammlung zu bestimmen. «Diese enthält über 28'000 Edelsteine, die in Minen auf der ganzen Welt geschürft wurden», erklärt Daniel Nyfeler, der Chef des Gem Lab.
In der Schweiz befinden sich die beiden weltweit renommiertesten Labors für die Analyse von Farbedelsteinen: das Gübelin Gem Lab in Luzern und das Schweizerische Gemmologische Institut in Basel, die 1923 bzw. 1972 gegründet wurden. Beide stellen Berichte aus, welche die Herkunft eines Edelsteins und eine allfällige Behandlung dokumentieren. Sie geben den Steinen auch eine Note und in einigen Fällen eine Farbe, wie Royal Blue oder Taubenblutrot, die begehrten Titel.
Um einen Stein zu analysieren, untersuchen ihn die Angestellten des Gem Lab unter dem Mikroskop. Dann unterziehen sie ihn mehreren Messungen mit Spektroskopie- und Massenspektrometriegeräten, um seine molekulare und chemische Zusammensetzung zu bestimmen. «Ein Stein ist wie eine Raum-Zeit-Kapsel», sagt Daniel Nyfeler. «Er enthält viele Mineralien, die uns Auskunft darüber geben, wo und wann er entstanden ist.» Jedes Jahr analysiert das Labor 10'000 Edelsteine.
Das Verfahren ist zwar genau, aber nicht unfehlbar. «Als der Run auf den Saphir in Madagaskar begann, fehlten den Labors Referenzsteine von dort», erzählt Vincent Pardieu. Dies führte zu Fehlern. «Mehrere Saphire wurden fälschlicherweise als aus Kaschmir oder Sri Lanka stammend identifiziert», sagt er.
Auch heute noch sind Saphire aus Madagaskar die am schwierigsten zu identifizierenden Edelsteine. Daniel Nyfeler öffnet eine Tabelle auf seinem Computer, welche die Analyse eines madagassischen Edelsteins zeigt. Das statistische Modell weist ihm nur eine 46-prozentige Wahrscheinlichkeit zu, von der Insel in Ostafrika zu stammen, während diese bei Sri Lanka 40,5% beträgt.
Dies ist nicht unbedeutend. Edelsteine aus Madagaskar sind 10- bis 15-mal weniger wert als die aus Kaschmir und 10 bis 20 % weniger als die aus Sri Lanka.
«Die Edelsteine aus historischen Minen haben eine gewisse Aura, und das treibt ihre Preise in die Höhe»,
sagt Michelot von der Gemmologischen Gesellschaft.
Um die Rückverfolgbarkeit von Edelsteinen zu verbessern, hat das Gem Lab von Gübelin daher 2017 die Initiative Provenance Proof ins Leben gerufen. Die Initiative hat eine Lösung entwickelt, die Nanopartikel enthält, die mit synthetischer DNA versehen sind. In ihr lassen sich kodierte Informationen speichern, zum Beispiel von der Mine, in welcher der Stein abgebaut wurde. «Der Edelstein wird in diese Flüssigkeit getaucht, die in winzige Risse auf seiner Oberfläche eindringt», erklärt Klemens Link, der Leiter von Provenance Proof.
Um sein Angebot zu erweitern, hat das Start-up 2019 ein auf Blockchain basierendes System entwickelt, bei dem ein digitaler Zwilling des Steins erstellt wird. Dadurch können jederzeit Daten über den Stein hinzugefügt werden: Wer hat ihn gekauft? Wer hat ihn geschliffen? Wurde er behandelt? «Sind die Informationen einmal in der Datenbank, können sie nicht mehr geändert werden», sagt Link. Darin sind bereits über 10 Millionen Edelsteine erfasst.
Ein grosser Teil der hochwertigen Edelsteine, die vom Gem Lab in Luzern analysiert werden, landet in den Tresoren von Genfer Händler*innen. Einer davon ist Benjamin Mizrahi. Um in sein Büro zu gelangen, muss man durch eine mit Überwachungskameras ausgestattete Sicherheitsschleuse und durch nicht weniger als vier Panzertüren gehen. Er unterhält sich gerade mit einem Edelsteinhändler aus Sri Lanka, der ihm madagassische Saphire bringen will.
«Ich konzentriere mich auf schöne Stücke für die Haute Joaillerie», sagt der Geschäftsmann, der sich vor zwölf Jahren selbstständig gemacht hat, nachdem er zuvor für Piaget und De Grisogono gearbeitet hatte. «Das ist ein ganz anderer Markt als die Uhrenindustrie, wo man eher viele kleine Steine gleicher Farbe und Grösse braucht, um sie in ein Zifferblatt oder ein Uhrenarmband einzufassen.»
Genf wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem Handelszentrum für Edelsteine. «Viele ausländische Edelsteinhändler haben sich hier niedergelassen», sagt Thomas Färber, Erbe einer deutschen Juwelierdynastie, die seit den 1980er-Jahren in Genf ist. «Auch Auktionshäuser wie Christie’s und Sotheby’s haben hier Zweigstellen eröffnet.»
Die Calvin-Stadt profitierte auch von ihren Zollfreilagern. Elke Berr, eine der wenigen Frauen in der Branche, die 1986 die Firma Berr & Partners gründete, erklärt:
«So muss man keinen Einfuhrzoll auf einen Stein zahlen, bevor man ihn mit eigenen Augen gesehen hat.»
Sie ist zweimal nach Madagaskar gereist und kauft dort regelmässig Steine an.
Das vertrauliche Milieu der Genfer Edelsteinhändler, deren Büros ohne Firmenschild in den oberen Stockwerken diskreter Immobilien angesiedelt sind, besteht hauptsächlich aus «Familienunternehmen, die von Generation zu Generation weitergegeben werden», so Charles Abouchar, dessen Unternehmen 1979 gegründet wurde. Es gibt etwa 30 davon in der Stadt.
Um die Ergebnisse ihrer Verkäufe zu begutachten, muss man nur die Rue du Rhône entlanggehen. Hier reihen sich die Schaufenster der Schmuckmarken aneinander: Bulgari, Piaget, Adler, Chopard, Graff, Cartier, Gübelin. In den Boutiquen glitzern die Schmuckstücke in dezenter Beleuchtung wie in einem Schrein. Preisschilder sucht man vergebens.
«Ich finde es sehr problematisch, dass Schweizer Schmuckmarken Saphire aus Madagaskar beziehen»,
sagt Glen Mpufane, der für den Edelsteinabbau-Sektor des Gewerkschaftsverbandes Industriall Global Union mit Sitz in Genf zuständig ist. «Die Minenarbeiter leiden unter entsetzlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen, die wesentlich schlimmer sind als in anderen afrikanischen Ländern.»
Saphire aus Ilakaka auf Schweizer Schmuck
Saphire aus Ilakaka gehören dennoch zum Sortiment zahlreicher helvetischer Schmuckmarken. Piaget, Van Cleef & Arpels und Cartier (die zu Richemont gehören), Bucherer, Harry Winston, Gübelin, Adler und De Grisogono verwenden sie alle, wenn man ihren Websites Glauben schenken darf.
So finden sie sich etwa auf der Blue-Waterfall-Halskette von Piaget mit einem blauen Edelstein von 14,6 Karat, auf der Namaka-Kollektion von Adler, auf einem Pantherring von Cartier, auf der regenbogenfarbenen Pastello-Linie von Bucherer oder als grosser blauer Cabochon von 4,46 Karat auf einem Ring von Gübelin.
Auf Nachfrage gaben die meisten Marken zu, dass es Probleme gibt, verwiesen aber auf ihre internen Kontrollverfahren. Bei Gübelin heisst es, man sei 2022 nach Madagaskar gereist, um die Situation zu beurteilen. «Die dort vorherrschende Goldgräbermentalität wird sich wohl nicht so rasch ändern», sagt Raphael Gübelin, der dem Unternehmen vorsteht. «Aber wir haben Minen identifiziert, die Nachhaltigkeit ernst nehmen und angemessene Löhne zahlen. Es wird allerdings noch einige Jahre dauern, bis diese Edelsteine auf den Markt kommen.» Gübelin weist ausserdem darauf hin, dass die Firma seit 2022 vom Responsible Jewellery Council (RJC) zertifiziert ist und von ihren Lieferanten die Einhaltung ihrer internen Verhaltenskodizes verlangt.
Bucherer räumt ein, dass «ein Risiko von Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette» besteht, gibt aber an, 2023 eine nachhaltige Beschaffungspolitik und einen Verhaltenskodex eingeführt zu haben, dem die Lieferanten unterworfen sind. Der Konzern führt nach eigenen Angaben regelmässige Inspektionen durch.
Auch die Richemont-Gruppe, zu der die Marken Piaget, Van Cleef & Arpels und Cartier gehören, verweist auf ihren Verhaltenskodex und gibt an, regelmässig «konstruktive Dialoge mit Akteuren der Zivilgesellschaft» über soziale und ökologische Fragen zu führen.
Rolex gibt an, nur 1000 Karat Saphire aus Madagaskar pro Jahr zu kaufen, was für die Herstellung von weniger als 500 Uhren ausreicht. Aufgrund dieses geringen Volumens hat die Marke nach eigenen Angaben «keinen Einfluss auf den Saphirmarkt». Sie erklärt jedoch, dass sie ihren vier Edelsteinlieferanten aus Madagaskar vertraut, die alle die Rolex-Nachhaltigkeitscharta unterzeichnet haben.
Swatch, der die Marke Harry Winston gehört, verweist lediglich auf ihren Nachhaltigkeitsbericht und verspricht, das Thema intern zu diskutieren. Die Unternehmen Adler und De Grisogono reagierten nicht auf unsere Anfragen.
Vom (RJC), das Gübelin ins Feld führt, hält Gewerkschafter Glen Mpufane wenig: Diese Instanz wasche lediglich die Marken am Ende der Kette rein, ohne zu überprüfen, was im Vorfeld passiert. Der Genfer Edelsteinhändler Ronny Totah nimmt kein Blatt vor den Mund:
«Es ist ein riesiger Schwindel. Die grossen Aufkäufer von farbigen Edelsteinen haben beschlossen, ein Label herauszugeben und es sich selbst zu verleihen.»
Das RJC wurde 2005 von 14 Organisationen aus der Schmuckindustrie gegründet und hat 1650 Mitglieder. «Jeder muss sich zur Einhaltung unseres Verhaltenskodex verpflichten und wird von einer dritten Partei geprüft», sagt Direktorin Melanie Grant. Zum Kodex gehören menschenwürdige Arbeitsbedingungen, verantwortungsvolle Abbaupraktiken und die Bekämpfung von Korruption. Aber unter den Mitgliedern sind nur 12 Minenunternehmen, und keines davon baut Saphire in Madagaskar ab. Ob der Verhaltenskodex des RJC eingehalten wird, prüft also niemand vor Ort. «Die Minenabeiter in Ilakaka sind vollständig vom Zertifizierungs- und Prüfungsprozess ausgeschlossen», betont Glen Mpufane.
Unsägliche Arbeitsbedingungen, Kinderarbeit, skrupellose Zwischenhändler, Bestechungsgelder und ein Staat, der von seinem Rohstoffreichtum nicht profitiert: Wie lange noch lastet der Fluch der Saphire über Madagaskar? Und wie lange lassen Schmuck- und Uhrenfirmen aus der Schweiz und von anderswo dies noch zu?
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Investigation Award von Public Eye geht an Julie Zaugg
Julie Zaugg ist eine Schweizer Journalistin, die in London lebt und für verschiedene französischsprachige Medien schreibt. Ihr Ziel ist es, «das Unerwartete und Unkonventionelle aufzuspüren», wie sie es ausdrückt. Vor einigen Monaten reiste sie nach Madagaskar, um die Spur der Saphire bis in die Minen zu verfolgen, in denen diese Edelsteine abgebaut werden.
Finanziert wurde das journalistische Projekt durch die 2023 bereits zum dritten Mal vergebenen Investigation Awards von Public Eye. Eine zweite prämierte Recherche zu den problematischen Policen des Versicherungskonzerns Swiss Re in Brasilien wurde im November 2023 publiziert.
Impressum
Reportage: Julie Zaugg
Fotos und Videos: Julie Zaugg
Deutsche Übersetzung : Swisstranslate
Redigat: Romeo Regenass
Online-Umsetzung: Fabian Lang