«Uns hat man einfach vergessen»
Tödliche Unfälle, minderjährige Arbeiter, zerstörte Umwelt: In der von Glencore betriebenen Mine Porco im bolivianischen Hochland bauen Kooperativen unter unmenschlichen Bedingungen Zink, Blei und Silber ab. Glencore schaut weg – und kauft einen Grossteil des von den Kooperativen geförderten Erzes auf.
Eine Geschichte organisierter Verantwortungslosigkeit, die zeigt, wie wichtig es ist, dass die Konzernverantwortungs-Initiative angenommen wird.
Es ist sieben Uhr in der Früh, wir stehen im Städtchen Porco auf dem bolivianischen Altiplano an einem Kreisel und fallen auf. Hunderte von Minenarbeitern schlurfen in Trainerhosen und behelmt an uns vorbei und mustern uns aus schlaftrunkenen Augen.
Wir – der bolivianische Journalist Jorge Quispe, der Fotograf Christian Lombardi und ich – warten auf Roberto, der eigentlich anders heisst. Er will uns in die Mine Porco führen, die älteste Mine Boliviens, in der seit 700 Jahren Zink, Silber und Blei abgebaut wird.
Betreiberin der Mine ist die Sociedad Minera Illapa S.A. – eine hundertprozentige Tochterfirma des Schweizer Konzerns Glencore.
2013 hat Illapa mit der staatlichen Corporacion Minera de Bolivia (kurz: Comibol) einen Assoziationsvertrag über 15 Jahre abgeschlossen. Mit schwerem Gerät und etwa 400 Mitarbeitenden höhlt die Firma im Dreischichtbetrieb den Berg aus. Gemäss Vertrag stehen «alle operativen Aspekte» unter der «exklusiven, umfassenden und vollen Verantwortung» der Glencore Tochter.
Minenarbeiter auf dem Weg zur Arbeit: Ob per Traktor, …
Doch der Grossteil der Männer und Jugendlichen, die hier auf dem Weg zur Mine an uns vorbeiziehen, arbeitet nicht für Illapa. Sondern für eine der beiden grossen Kooperativen; die Cooperativa Minera Porco Limitada, in der sich über 3000 Minenarbeiter versammeln, oder die Cooperativa Huayana Porco mit gut 1500 Arbeitern. Wenn sich für die Glencore-Tochterfirma in einem Sektor der maschinelle Abbau nicht mehr lohnt, treten die Kooperativen auf den Plan – und machen sich an die Resteverwertung. Mit einfachsten Mitteln und unter grösster Gefahr.
… auf einem Lastwagen oder zu Fuss, ...
Roberto, der mittlerweile am Kreisel aufgetaucht ist, will uns zeigen, was das bedeutet. Er führt uns zu einem Lastwagen, auf dem bereits ein paar Minenarbeiter warten. Wir klettern zu ihnen auf die Ladefläche. Als wir den Kontrollposten der Firma Illapa erreichen, bittet Roberto meinen Kollegen Jorge, sich kurz zu ducken. Er ist der einzige von uns, der keinen Helm trägt – offenbar die einzige Bedingung, um die «Sicherheitskontrolle» unbehelligt zu passieren.
… alle passieren sie den Torbogen der Glencore-Tochter Illapa.
Wir fahren weiter, unter dem pompösen Torbogen mit der Inschrift «Illapa S. A.» hindurch und vorbei an der Verarbeitungsanlage der Firma, den Berg hinauf bis zum Stollen Juan Carlos auf 4219 Metern über Meer.
In der Mine
Während die Kumpel ihre vom Vortag noch feuchten Overalls zum Trocknen auslegen und sich zur Stärkung Cocablätter in den Mund schieben, hält uns Roberto ein Kurzreferat über das Kooperativenleben.
Er ist einer von etwa 200 «Socios», Vorarbeitern der Kooperative Huayana Porco. Acht Arbeiter hat er unter sich. Die Minen-Kooperativen sind nicht wirklich kooperativ organisiert, sondern eher Zusammenschlüsse von Kleinunternehmern. Diese stellen auf eigenes finanzielles Risiko Arbeiter an, welche dann für einen bestimmten Tagesansatz oder eine Beteiligung am Erlös in der Mine schuften – viele ohne Vertrag, fast alle ohne Kranken- oder Unfallversicherung.
Für die Sicherheitsausrüstung haben sie selbst aufzukommen – viele tragen deshalb Helm aus billigstem Plastik, kaum einer trägt eine Maske, die wirklich vor Feinstaub schützt. Werde ein Arbeiter in der Mine verletzt, unterstütze ihn die Kooperative finanziell für die Erstbehandlung, danach müsse er selbst weiterschauen.
Komme ein Minenarbeiter zu Tode, erhalte dessen Familie einen Fixbetrag von 3000 US-Dollar.
So sei das im Reglement der Kooperative festgelegt, erklärt uns Roberto in gleichmütigem Ton, während er gleichzeitig ein Auge hat auf die Arbeiter, die gerade einen Lastwagen mit Erz beladen.
Dieser wird danach den Berg hinunter gefahren – zur Verarbeitungsanlage der Firma Illapa. Die Kooperative Huayana Porco verkaufe den Grossteil ihres Erzes an die Glencore-Tochterfirma, sagt Roberto, nur ab und an biete man eine Ladung einer Konkurrenzfirma in Potosí an.
Kinderarbeit als Selbstverständlichkeit
Ich spreche jenen von Robertos Arbeitern an, der am jüngsten aussieht. Juan, wie wir ihn nennen wollen, erzählt mir, er sei vor einem Jahr zum ersten Mal hierher gekommen, um während der Schulferien an der Seite seines Vaters in der Mine zu arbeiten. Er ist 15 Jahre alt. Die Arbeit sei streng, sagt er, aber es gehe schon. Mit dem Geld, das er hier verdient, will er sich neue Kleider kaufen.
Zwar erlaubt das bolivianische Gesetz Jugendlichen ab 14 Jahren grundsätzlich, einer bezahlten Arbeit nachzugehen. Bestimmte Tätigkeiten sind jedoch ausgenommen – darunter explizit auch der Bergbau. Doch dass Minderjährige in der Mine arbeiten, scheint hier in Porco eine allseits tolerierte Realität zu sein. Im Städtchen Porco begegnen einem Dutzende offensichtlich nicht volljährige Arbeiter. Der Bürgermeister Fredy Lugo wird später im Gespräch mit uns beklagen, dass viele Junge lieber in der Mine arbeiten, als eine Ausbildung zu absolvieren.
Nicht einmal bei der Fedecomin, der Föderation der Minenkooperativen Potosís, gibt man sich Mühe, das Problem abzustreiten. Oder zumindest nicht lange. Der Verantwortliche, den wir in deren Büro zum Gespräch treffen, sagt zwar erst im Brustton der Überzeugung, es sei «eine Lüge, dass Kooperativen Minderjährige anstellen». Als wir ihm dann von unseren Beobachtungen und Treffen in Porco erzählen, räumt er jedoch rasch ein: «Dieses Problem gibt es.»
Doch zurück auf den Berg. Als sich all seine Angestellten an die Arbeit gemacht haben, führt Roberto auch uns in den Stollen. Im Schein unserer Stirnlampen laufen wir hintereinander hinein in den engen Tunnel, immer wieder müssen wir den Kopf einziehen. Kommt uns rumpelnd einer der Kleintraktoren entgegen, der Erz nach draussen führt, drücken wir uns an die Wand, damit er an uns vorbeikommt.
Hinein in die Dunkelheit: Der Eingang «Juan Carlos» der Mine Porco.
Je weiter wir ins Innere des Berges eindringen, desto stickiger und heisser wird es.
Mancherorts gehen metertiefe Löcher vom Tunnel ab, ohne jegliche Sicherung, zu tief, als das sich mit dem Licht unserer Stirnlampen ihr Ende erkennen liesse.
Es sind die Schächte, die Illapa hinterlassen hat. Schliesslich kommen wir zur Stelle, an der seine Arbeiter abbauen, 1200 Meter sind wir mittlerweile im Berg drin. Aus einem tiefen Loch sind Klopfgeräusche zu vernehmen. Das seien seine Leute, sagt der «Socio», die vierzig Meter weiter unten beschäftigt seien. Aber dort hinab führe er uns nicht, «das wäre zu gefährlich».
Angst vor juristischen Konsequenzen, falls einer seiner Arbeiter verunglückt, braucht Roberto kaum zu haben: Zu einer Strafuntersuchung kommt es nach einem Unfall praktisch nie. Wenn sich die Kooperativen und die Zurückgeblieben eines Unfallopfers geeinigt hätten «dann mischen wir uns nicht ein», wird uns ein wortkarger Polizist im Posten von Porco später bestätigen. «Von vielen Unfällen kriegen wir gar nichts mit.»
Als wir den Polizisten auf die drei Minenarbeiter der Kooperative Porco Limitada ansprechen, die erst vor ein paar Tagen in der Mine Porco erstickt waren, sagt er, der Unfall sei offensichtlich selbstverschuldet gewesen. Die Leichen hätten die Angehörigen der Verstorbenen selbst geborgen, nach einer Autopsie habe niemand verlangt, und als man mit dem einzigen Überlebenden des Unfalls habe sprechen wollen, habe der das Spital bereits verlassen gehabt. Somit war der Fall abgeschlossen.
Kommt einem im engen Stollen ein Traktor entgegen, heisst es, sich an die Wand zu drücken.
Kommt einem im engen Stollen ein Traktor entgegen, heisst es, sich an die Wand zu drücken.
Viele der Fahrer sind Jugendliche: Die engen Stellen erfordern grosse Beweglichkeit.
Viele der Fahrer sind Jugendliche: Die engen Stellen erfordern grosse Beweglichkeit.
Nie ohne meine Coca: Kein Mineur betritt die Mine ohne einen Sack der Blätter, die gegen Müdigkeit, Hunger und Kälte helfen.
Nie ohne meine Coca: Kein Mineur betritt die Mine ohne einen Sack der Blätter, die gegen Müdigkeit, Hunger und Kälte helfen.
Vom Tunnel aus sind mancherorts riesige Höhlen sichtbar – Hinterlassenschaften der Firma Illapa, die hier mit grossem Gerät abgebaut hat.
Vom Tunnel aus sind mancherorts riesige Höhlen sichtbar – Hinterlassenschaften der Firma Illapa, die hier mit grossem Gerät abgebaut hat.
Wenig vertrauenserweckend: An einsturzgefährdeten Stellen hat Illapa den Tunnel behelfsmässig mit Holzpfosten abgestützt.
Wenig vertrauenserweckend: An einsturzgefährdeten Stellen hat Illapa den Tunnel behelfsmässig mit Holzpfosten abgestützt.
1200 Meter im Innern des Berges: Mit einem 25 Kilogramm schweren Presslufthammer wird das Gestein perforiert.
1200 Meter im Innern des Berges: Mit einem 25 Kilogramm schweren Presslufthammer wird das Gestein perforiert.
In die Löcher werden Dynamitstangen gesteckt. Bei der Detonation muss man sich mindestens hundert Meter entfernt in Sicherheit bringen.
In die Löcher werden Dynamitstangen gesteckt. Bei der Detonation muss man sich mindestens hundert Meter entfernt in Sicherheit bringen.
Auf 4219 Metern über Meer wird das Erz schliesslich aus der Mine gebracht und…
Auf 4219 Metern über Meer wird das Erz schliesslich aus der Mine gebracht und…
...vor dem Stollen auf «Rutschen» ausgeleert...
...vor dem Stollen auf «Rutschen» ausgeleert...
... und schliesslich auf Lastwagen verladen, die es meist in die Glencore-Anlage weiter unten am Berg bringen.
... und schliesslich auf Lastwagen verladen, die es meist in die Glencore-Anlage weiter unten am Berg bringen.
Die Unfallbilanz
Am Tag nach dem Besuch in der Mine treffen wir in Potosí den 28-jährige Eliceo Mamani Condori. Er empfängt uns in den Räumlichkeiten einer Unterstützungsorganisation für körperlich behinderte Menschen. Er sitzt in einem abgewetzten Rollstuhl und trägt Trainerhosen mit eingesticktem Logo der Cooperativa Minera Porco Limitada, für die er arbeitete, bis zu diesem Tag im August 2014.
Als Siebzehnjähriger hatte er in der Mine angeheuert, bald wurde er stark umworben – weniger wegen seiner Arbeit im Stollen, sondern wegen seiner Athletik und seines feinen linken Fusses: Neben dem Kampftrinken sind Fussballturniere die liebste Freizeitbeschäftigung der Minenarbeiter, wertvolle Spieler können sich ein stattliches Zubrot verdienen und erhalten zuweilen auch in der Mine eine Vorzugsbehandlung.
Eliceo Mamani Condori, 28 Jahre alt, Minenarbeiter, ist seit einem Unfall im August 2014 querschnittgelähmt.
So auch Eliceo Mamani. Sein «Socio» hatte ihm die Erlaubnis erteilt, eine eigene Erzader zu erschliessen. Was zum Vorschein käme, würden sie sich hälftig teilen. Monatelang hatte er am Zugang gearbeitet zu jener Stelle, an der er Bodenschätze vermutete.
Um an «seine» Ader zu kommen, die quer vom riesigen Schacht wegging, den Illapa hinterlassen hatte, musste er an den Holzpfählen hochsteigen, mit denen die Firma den Stollen abgestützt hatte. Als er fast auf seinem Zwischenboden angelangt war, brach einer der Balken ein. Vielleicht war er durch die Erschütterung bei Sprengungen lose geworden. Vielleicht hätten ihm aber auch andere Minenarbeiter, die es auf sein Erz abgesehen hatten, eine Falle gelegt, glaubt Eliceo Mamani. Er fiel 45 Meter in die Tiefe.
Bei der Bergung gelähmt?
Kollegen von Eliceo banden seinen Unterkörper an einer Leiter fest und versuchten, ihn mit vereinten Kräften an Seilen empor zu hieven. Dabei verhakte sich die Leiter an der Schachtwand, er wurde eingeklemmt, der Schmerz liess ihn kurz zu sich kommen, dann fiel er wieder in Ohnmacht. Er glaubt, dass sein Rückgrat erst da, bei der Bergung, barst.
Eliceo lag darauf zwei Wochen im Koma, und als er wieder zu sich kam, habe er sich als erstes gefragt, ob die Verletzungen wohl so schlimm seien, dass er sein Spiel auf dem Fussballplatz umstellen müsste. «Erst, als mir die Krankenpflegerin sagte, ich werde nie mehr laufen können, habe ich verstanden – und geweint.» Seine Frau Licet möchte lieber nicht mehr zurückdenken an die Zeit, als ihr Mann aus dem Spital nach Hause kam und sie neben der eben geborenen Tochter Maite auch noch zu ihm schauen musste. «Es war, als müsste ich mich plötzlich um zwei Babys kümmern», sagt sie nur.
Heute ist Eliceo von der Gemeinde Potosí als Pförtner einer Sportanlage angestellt, für gerade mal einen Fünftel des Lohnes, den er früher in der Mine verdiente. Seine Hoffnung setzt er just in die Kooperative, bei der er einst arbeitete. Demnächst will er ein Schreiben an diese abschicken, in dem er sie darum bitten werde, dass sie zumindest einem Verwandten von ihm einen Job geben, wenn er selbst schon nicht mehr arbeiten kann.
Zwanzig Todesfälle pro Jahr
Doch wie gefährlich ist die Arbeit hier wirklich? Lassen sich Schwere und Häufigkeit der Unfälle in der Mine Porco quantifizieren? Wo verlässliche Statistiken fehlen, ist das Spital der beste Ort, um diese Frage zu klären.
Reyna Paucara Canaza, Ärztin, arbeitet seit 2016 im Centro de Salud in Porco.
Die Ärztin Reyna Paucara Canaza ist seit 2016 im Centro de Salud von Porco im Dienst, und die Zahlen, die sie uns nennt, gehen unter die Haut.
Sie versorgten hier jeden Tag verletzte Minenarbeiter, sagt sie, mit mittelschweren bis sehr schweren Verletzungen.
Schädel-Hirn-Traumata und Rückenverletzungen aufgrund herabfallender Steinplatten oder nach Stürzen kommen am Häufigsten vor. In den vier Jahren ihrer Dienstzeit habe es im Durchschnitt in der Mine etwa zwanzig Todesfälle pro Jahr gegeben. Als im Jahr 2017 die Rohstoffpreise zum letzten Mal durch die Decke gingen und die Mine noch mehr Arbeiter als sonst anzog, sei es praktisch jede Woche zu einem Todesfall gekommen. Fünfzehn- und Sechzehnjährige behandelten sie hier immer wieder, hie und da auch noch jüngere.
Der jüngste verletzte Minenarbeiter, an den sie sich erinnert, war elf Jahre alt.
Bei schweren Unfällen können die Ärztinnen und Ärzte im rudimentär eingerichteten Gesundheitszentrum von Porco nicht mehr als die Erstversorgung leisten, dann werden die Verletzten nach Potosí transferiert. Auch für Bergungen im Innern der Mine fehle ihnen leider die Ausrüstung und das Personal. Verletzte Arbeiter würden in der Regel von ihren Kollegen geborgen und in irgendwelchen Fahrzeugen hierhergebracht, und ja, räumt die Ärztin ein, natürlich könne es dabei zu zusätzlichen Verletzungen kommen.
Zwar betreibt auch die Firma Illapa in Porco zwei eigene Gesundheitszentren – je ausgerüstet mit einem Ambulanzfahrzeug. Nur: Einem Kooperativen-Mitarbeiter bringt das nichts. Gemäss einer Vereinbarung mit der staatlichen Krankenversicherung sei es «Illapa nicht gestattet, Dienstleistungen für Dritte zu erbringen», schreibt Glencore auf Anfrage.
Der vergiftete Fluss
Bevor wir abreisen, wollen wir noch einem weiteren Punkt nachgehen, der in den letzten Tagen von mehreren der Frauen und Männer, mit denen wir gesprochen haben, beklagt worden ist: der Verschmutzung des Trinkwassers unterhalb der Mine.
Als wir dem Bürgermeister Fredy Lugo, mit dem wir auch schon darüber gesprochen haben, nochmals einen Besuch abstatten, zeigt er durch das Fenster seines Büros plötzlich unvermittelt auf zwei traditionell gekleidete Frauen, die draussen auf dem Dorfplatz stehen. «Geht und sprecht mit ihnen», sagt er, «die können euch erzählen, wie es ist, unterhalb der Mine zu leben.
Wir gehen raus und sprechen die beiden Frauen an. Ein Redeschwall bricht auf uns ein. Sie kommen aus dem Dörfchen Churcuita, das einige hundert Höhenmeter unterhalb des Minengebiets liegt. Das Wasser aus dem Fluss, früher ihre primäre Trinkwasserquelle, könne man nicht mehr trinken, sagt die 57-jährige Damiana Apaza. Bis heute baue sie Favabohnen an, Kartoffeln, Mais und Gemüse, aber der Ertrag sei nicht einmal mehr halb so gross wie vor zwanzig Jahren.
Helena Cordoba (links) und Damiana Apaza, beklagen sich über das verschmutzte Wasser, das der Ernte und den Tieren schadet.
Die Milch und das Fleisch ihrer Lamas und Ziegen seien kaum mehr geniessbar, die Forellen, die es früher im Bach gehabt habe, seien längst verschwunden.
«In Churcuita kann man nicht mehr leben», sagt sie.
Wir machen uns auf, selbst einen Augenschein zu nehmen in einem von den Minenaktivitäten betroffenen Dorf. Zusammen mit der Umweltingenieurin Marcela Rojas Aroni steigen wir in einen Minibus.
Marcela Rojas arbeitet seit gut drei Jahren für die Gemeinde Porco – und hat in dieser Zeit unter anderem zwei detaillierte Untersuchungen zu den Umweltauswirkungen der Minenaktivitäten und zur Wasserqualität in den unterhalb der Mine gelegenen Gemeinden durchgeführt.
Im Örtchen Sora Molino steigen wir aus. Marcela Rojas führt uns zur einstigen Trinkwasserquelle des Dörfchens: dem Fluss «Agua Castilla». Jetzt in der Trockenzeit ist es eher ein Rinnsal, mit rötlichem Schimmer und von Schaumbläschen gekrönt.
Das Flussbett des «Agua Castilla» in Porco.
Das 50ig-Fache des Höchstwertes
Im September vergangenen Jahres hat Marcela Rojas hier im Fluss, der für die Bewohner stets die wichtigste Trinkwasserquelle gewesen war, um sechs Uhr morgens Proben genommen und diese danach in einem Labor analysieren lassen. Die Resultate waren höchst beunruhigend. Der zulässige Höchstwert für Rückstände von Zink im Trinkwasser beträgt in Bolivien wie in der Schweiz 5 Milligramm pro Liter. Im Wasser von Sora Molino wurde mit 30,6 Milligramm pro Liter eine sechsmal so hohe Konzentration des Metalls gemessen, welches in hoher Konzentration nicht nur Pflanzen, sondern auch den menschlichen Organismus schädigt. Eisen, das insbesondere die Leber schädigt, wurde in einer Konzentration von 8.51 Milligramm pro Liter gemessen – mehr als das 28-fache des in Bolivien zulässigen Höchstwertes von 0,3 Milligramm. Mangan, das sich in hoher Konzentration auf kognitive und motorische Fähigkeiten auswirkt, fand sich in Sora Molino in einer Konzentration von 5,29 Milligramm pro Liter: Mehr als das 50ig-Fache des bolivianischen Grenzwertes von 0,1 Milligramm, mehr als das Hundertfache des Höchstwertes in der Schweiz.
Letzten Januar hat Marcela Rojas ihren Bericht zuhanden der Departementsregierung in Potosí eingereicht. Was ist seither geschehen? «Das ist das Frustrierende», sagt sie. Nur die Behörden des Departements hätten die Kompetenz, Sanktionen zu verhängen und allenfalls eine Anlage eine Zeit lang still zu legen, bis sie saniert ist. Aber das sei noch nie vorgekommen.
Ein, zwei Mal pro Jahr begleite sie jemand vom «Sekretariat der Mutter Erde», dem Umweltministerium, auf einer Inspektion, und danach geschehe jeweils… nichts.
Die meisten Familien sind aufgrund des vergifteten Wassers längst weggezogen.
Zusammen mit der Umweltingenieurin machen wir uns auf zu den wenigen Häusern des Dörfchens, die nicht zerfallen und noch mit intakten Strohdächern bedeckt sind. Am Hang oberhalb sind Reste von Mäuerchen zu sehen, Zeugen der Terrassen, auf denen einst Lebensmittel angebaut wurden. Jetzt wächst dort nur noch Gestrüpp. Vor einem Hof wachsen auf einem kleinen Feld zarte Pflänzchen, an denen dereinst Favabohnen reifen sollen. Auf einem Fenstersims liegen Lamafelle zum Trocknen aus, irgendwo bellt ein Hund, nur Menschen sehen wir nicht.
Wir wollen uns gerade davonmachen, als wir in der Ferne einen Pickup entdecken, der in unsere Richtung gefahren kommt. Auf der Ladefläche drängt sich eine Gruppe schwarz gekleideter Frauen und Männer.
Es sind Familienangehörige der 42-jährigen Juana Choque, die sich uns als «Witwe von Xenon Cruz» vorstellt. Vor genau einem Monat ist ihr Ehemann verstorben, mit 46 Jahren. Die Trauerfamilie ist hierhin gekommen, um ihm die Ehre zu erweisen. Juana Choque deutet zu einem einsamen Kreuz, das zwischen Büschen im Boden steckt. «Hier ist er begraben, und hier will auch ich mal begraben werden».
Xenon Cruz hatte in der Mine gearbeitet, wie fast alle gesunden Männer hier. Er war bei der Firma Illapa angestellt – bis er im Jahr 2007 unter eine Maschine geriet und sich schwer verletzte. Ganz gesund wurde er nie mehr. Von der Firma habe er lediglich eine Minirente erhalten, weniger als ein Drittel seines vorherigen Verdienstes, deshalb sei er trotz seiner Beschwerden wieder arbeiten gegangen, in die Direktion einer der Kooperativen. Bis er vor einem Monat nach gesundheitlichen Komplikationen verstarb.
Sie wisse nicht, wie sie nun ihre fünf Kinder und sich selbst ernähren solle, sagt Juana Choque. Denn hier in Sora Molina, wo sie vor 25 Jahren hingezogen ist, «als alles noch grün war», könne man kaum mehr leben.
Das Wasser aus dem Fluss sei vergiftet, «wenn unsere Lamas davon trinken, verenden sie».
Das komme immer wieder vor. Wenn es nicht gerade ausgesprochen viel regne, verende alles, was sie pflanzten, die Kartoffeln der letzten Ernte seien hart gewesen und gerade noch so gross wie ein Daumen, sagt Juana Choque, und jetzt gelingt es ihr nicht mehr, die Tränen zurückzuhalten. «Uns hat man einfach vergessen.»
Was Glencore sagt
Natürlich stellt sich auch hier die Frage: Wer ist verantwortlich für das vergiftete Wasser in den Gemeinden unterhalb der Mine Porco? Die Firma Illapa, die maschinell und unter grossem Wassereinsatz abbaut? Oder die kaum regulierten Kooperativen? Im Gegensatz zu den Kooperativen verfüge die Glencore-Tochtergesellschaft über eine gültige Umweltlizenz, sagt die Umweltingenieurin Marcela Rojas.
Bei einem Audit der Anlagen von Illapa im März habe man allerdings einige Probleme festgestellt:
So seien Zink und Bleilager nicht ausreichend abgedeckt gewesen und es hätten Kanäle gefehlt, die verhindern würden, dass Rückstände in den Fluss geraten. Im Weiler Playa Verde, der unterhalb eines von Illapa betriebenen Rückhaltebeckens liegt, hat ihre Behörde aufgrund von Reklamationen der Bewohner die Wasserqualität getestet – und Rückstände unter anderem von Blei, Eisen und Zink über dem zulässigen Höchstwert gefunden. Und schliesslich würden sogenannte saure Grubenwässer nur unzureichend zurückgehalten.
Anna Krutikov von Glencore bestätigt auf Anfrage das Audit vom März 2020 und schreibt, im offiziellen Inspektionsbericht seien keine Umweltverstösse festgestellt worden. Die Empfehlungen für das Management der sauren Grubenwässer seien «adressiert» worden. In Bezug auf die Wasserqualität arbeite man mit der Gemeindebehörde von Porco zusammen, «um ihre Bedenken besser zu verstehen».
«Kommt nicht unter Drogeneinfluss zur Arbeit», bittet die Glencore-Tochterfirma bei der Zufahrt zur Mine …
Was prüft diese Sorgfaltsprüfung?
Auch wir hätten vor Ort gerne mit dem Verantwortlichen der Firma llapa gesprochen uns unsere Bedenken vorgebracht. Doch ein in Aussicht gestelltes Treffen mit dem Illapa-Verantwortlichen in Potosí fand schliesslich nie statt, und als wir unser Glück am Hauptsitz in La Paz versuchten, hiess es am ersten Tag, leider seien alle Verantwortlichen gerade in Sitzungen, und am zweiten, leider seien alle Verantwortlichen gerade im Home Office und nicht erreichbar. Die Fragen, die wir daraufhin schriftlich einreichten, wurden uns schliesslich vom Glencore-Hauptsitz in Zug aus beantwortet.
In Bezug auf Abkommen mit den Kooperativen schreibt uns die Glencore-Nachhaltigkeitschefin Anna Krutikov, Illapa habe «keine Vereinbarungen mit Kooperativen». Sobald die Firma den Abbau in bestimmten Teilen des Konzessionsgebiets beendet habe, informiere sie Comibol, die staatliche Bergbaugesellschaft – welche dann diese Gebiete Kooperativen zuweisen könne. Zumindest indirekt bestimmt der Konzern also durchaus mit, wo die Kooperativen arbeiten dürfen. Ilapa überlasse ihnen nur «la basura» – den Müll –, beklagen uns gegenüber denn auch mehrere «Socios» von Kooperativen.
Und bei der Fedecomin, dem Verband der Minenkooperativen, sagt man uns, neben den offiziellen Verträgen mit Comibol gebe es direkte, informelle Absprachen und Übereinkommen zwischen der Firma und den Kooperativen. Aber diese seien oftmals nicht schriftlich und hätten «keinen legalen Status».
Auch auf Nachfrage gibt Glencore nicht Preis, welcher Anteil des von den Kooperativen geförderten Erzes von Illapa aufgekauft wird: das seien «sensible Geschäftsinformationen». Die Abnahmeverträge mit den Kooperativen unterlägen aber einer sorgfältigen Prüfung «in Bezug auf wirtschaftliche, rechtliche und betriebliche Aspekte», inklusive Sicherheitsaspekte und dem Risiko von Kinderarbeit, gemäss den «Glencore Supplier Standards».
In diesen steht unter anderem geschrieben, man erwarte von den Zulieferern eine «Nulltoleranz gegenüber jeglicher Form moderner Sklaverei, einschliesslich (…) Kinderarbeit» und dass sie für «eine sichere und gesunde Arbeitsumgebung einschliesslich angemessener persönlicher Schutzausrüstung» sorgten.
Führt man sich die Verhältnisse in Porco vor Augen, erscheinen diese Ausführungen geradezu abstrus. Dass ein Grossteil der Minenarbeiter über keine adäquate Sicherheitsausrüstung verfügt, dass viele von ihnen offensichtlich noch nicht volljährig sind – dass sieht jeder und jede, der oder die sich frühmorgens oder am Feierabend in Porco umsieht.
Man muss sich fragen: Was genau prüft eine Sorgfaltsprüfung, die das nicht erkennt?
Zu den Kontrollen am Eingang der Mine schreibt Glencore, man registriere die Personen, die das Areal betreten, und kontrolliere unter anderem, dass persönliche Schutzausrüstung getragen werde. Ilapa habe aber keine Befugnis, Kooperativenarbeitern irgendwelche Auflagen zu machen.
Sinchi Wayra, die Holding, zu der die Illapa S.A. gehört, teilte ihrerseits 2019 gegenüber dem Global Compact der UNO mit, man stehe regelmässig im Dialog mit den Kooperativen in Bezug auf «wichtige Themen wie Sicherheitsausrüstung, Einsatz von Kinderarbeit und Umweltbelastung».
Man plane auch, die Kooperativen zu besuchen, um sich davon zu überzeugen, dass diese «unsere Bedingungen tatsächlich einhalten». Ob diese Besuche stattgefunden haben, wissen wir nicht. Was man wohl sagen kann: Falls ja, hatten sie offenbar den gleichen Effekt wie der Dialog oder die wohltuend bestimmt klingenden Formulierungen in den Standards für Zulieferer - keinen merklichen.
… von der aus Lastwagen das verarbeitete Material nach «Agua Castilla» unterhalb von Porco bringen, …
Hürdenlauf im Behördendschungel
Auch Comibol hätten wir gerne die eine oder andere Frage gestellt: Was unternimmt sie, um die gesetzlosen Zustände bei den Kooperativen zu regulieren? Wo sieht sie die Firma Illapa als Betreiberin der Mine in der Verantwortung?
Das Unterfangen, bei der bolivianischen Behörde Antworten auf diese und weitere Fragen zu finden, lässt sich vielleicht am adäquatesten als «Hürdenlauf im Kreis» beschreiben. Als erstes versuchen wir es bei der Regionalstelle in Potosí, die uns an den Hauptsitz in La Paz verweist. Wir gehen auch dort vorbei. Die Arbeitsbedingungen bei den Kooperativen zu überprüfen, sei schwierig, und sie zu verbessern erst recht, sagt uns der freundliche Presseverantwortliche. Die Kooperativen entzögen sich leider der Kontrolle der Firma wie auch seiner Behörde, räumt er freimütig ein.
Aber zu Verträgen oder Verantwortlichkeiten in Bezug auf die Mine Porco könne er uns leider nichts sagen, und jene, die dies könnten, seien allesamt in Sitzungen, den ganzen Tag lang. Wir sollten die Fragen schriftlich stellen.
Nachdem ich das getan habe, wird es skurril: Nach zwei Tagen Bedenkzeit teilt uns der Pressesprecher mit, ich müsse die Fragen dem Comibol-Präsidenten direkt zustellen. Auch das mache ich, und schliesslich kriege ich von diesem ein Schreiben zugestellt: Er müsse mich leider bitten, einen formellen Antrag zu stellen, um sicher sein zu können, dass ich tatsächlich jene Person sei, die die Fragen gestellt hat. Ich gebe auf.
… wo es auf Güterwagen verladen wird. Die Gleise führen bis zum chilenischen Hafen von Antofagasta.
«Hier kann man nicht mehr leben»
«Wir setzen uns für die Menschenrechte ein und unterstützen die nachhaltige, langfristige Entwicklung der lokalen Gemeinschaften, in denen wir tätig sind», schreibt Glencore auf seiner Nachhaltigkeitsseite.
Welche Nachhaltigkeits-Bemühungen der Konzern konkret in Bolivien unternimmt, geht aus dem jüngsten, 97 Seiten langen Nachhaltigkeitsbericht nicht hervor. Glencores Aktivitäten in Bolivien finden darin schlicht keinerlei Erwähnung.
Das Urteil von Juana Choque, der Witwe aus Sora Molina, ist gemacht. «Die Firma hat meinem Mann alle Kraft genommen und ihn weggeworfen wie einen Hund», sagt sie, «und hier kann man wegen des vergifteten Wassers nicht mehr leben.»
Ja zur Konzernverantwortungs-Initiative
Was würde sich bei einem Ja zur Konzernverantwortungs-Initiative am 29.11.2020 ändern?
Wird die Initiative angenommen, kann Glencore nicht länger Umweltstandards verletzen und muss dafür sorgen, dass der für die Region wichtige Fluss Agua Castilla nicht mehr durch die Minenaktivitäten vergiftet wird. Ansonsten könnten geschädigten Bewohnerinnen und Bewohner beim Konzernhauptsitz in Baar im Kanton Zug Wiedergutmachung verlangen.
Und Glencore muss alles in seiner Macht stehende tun, damit beim Erzabbau keine Minderjährigen schuften und dass es nicht mehr zu vermeidbaren, oft tödlichen Unfällen kommt.
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Text: Timo Kollbrunner (Public Eye)
Recherche: Timo Kollbrunner (Public Eye)
& Jorge Quispe
Fotos: Christian Lombardi
Online-Umsetzung: Rebekka Köppel (Public Eye)