Solange der
Preis stimmt
Chiquitas Geschäfte in Ecuador und die
Arbeitsbedingungen in den Plantagen
Seit Jahrzehnten bestimmen Machtmissbrauch und Menschenrechtsverletzungen die Bananenindustrie. Haben die vollmundigen Versprechen der Branchenführer – allen voran des Schweizer Bananenriesen Chiquita – etwas daran verändert? Public Eye hat sich auf Plantagen im ecuadorianischen Tiefland umgesehen.
Ein gutes Dutzend Männer sitzt an diesem späten Nachmittag bei einem Verkehrskreisel ausserhalb Machalas – sie plaudern, surfen auf Facebook, warten. Sie sind hier, weil sie auf den Vorarbeiter irgendeiner Bananenplantage hoffen, der ihnen für den Folgetag eine Jornada bestätigt: Arbeit für einen Tag. Es ist eine Lotterie, der täglich Tausende Frauen und Männer in ganz Ecuador ausgesetzt sind.
Ausserhalb des Bananensektors gebe es kaum Jobs, erzählen die Männer am Kreisel. Höchstens hie und da mal ein paar Tage als Hilfsarbeiter auf einer Baustelle. Auf die Frage, wie er sonst zu Geld komme, sagt ein 17-Jähriger unumwunden: «Über den Verkauf von Drogen.» Er meint Basuco, in Europa besser bekannt als Crack; die Reste aus der Kokainproduktion also, mit denen in den Bananenplantagen und um diese herum gedealt wird. Basuco wirkt sofort, ist vergleichsweise günstig und macht schnell abhängig. «Wir müssen uns nicht wundern, wenn die Jungen das Zeugs konsumieren», sagt ein 36-jähriger Mann, der ebenfalls beim Kreisel sitzt und wartet. «Es gibt hier einfach keine Perspektiven, und der Drogenhandel ist wesentlich lukrativer, als sich auf den Bananenplantagen abzuschuften.»
Seit Anfang des 20. Jahrhunderts werden in dieser Gegend Bananen angepflanzt, wie vielerorts im ecuadorianischen Tiefland. Der Andenstaat ist seit den 1950er Jahren der grösste Bananenexporteur der Welt, knapp ein Drittel aller international gehandelten Bananen kommt aus Ecuador. Rund 5000 Produzenten und Produzentinnen gibt es, von Kleinstbetrieben zu Grossplantagen, der Sektor beschäftigt über 200'000 Menschen, indirekt sind rund zwei Millionen Menschen vom Bananenanbau abhängig.
Steuern sparen am Genfersee
Die meisten ecuadorianischen Plantagenbesitzer verkaufen die Bananen an Zwischenhändler, welche sie an internationale Bananenhändler weiterverkaufen – etwa an Chiquita. Das Unternehmen beliefert vornehmlich Europa und Nordamerika und hat zwei Hauptsitze. Das US-amerikanische Geschäft wird in Fort Lauderdale (Florida) abgewickelt. Das Europageschäft seit 2009 im Kanton Waadt.
Früher lag der europäische Hauptsitz des Konzerns im belgischen Antwerpen, wo Chiquita Gewinnsteuern von über 20% abdrücken musste. Mit dem Umzug in die Schweiz fiel die Steuerbelastung laut einem Bericht des Schweizer Fernsehens aus dem Jahr 2010 auf 2,5%. Der Konzern hatte sich gerade noch rechtzeitig vor dem Ablauf der sogenannten «Lex Bonny» im Kanton Waadt registriert: Das Gesetz hatte es strukturschwachen Gebieten in der Schweiz erlaubt, neu zuziehenden Firmen während zehn Jahren die Steuern ganz zu erlassen.
Dieses Privileg lockte Anfang der 2000er Jahre eine ganze Reihe namhafter Konzerne an den Genferseebogen. Mittlerweile ist das Steuerprivileg für Chiquita abgelaufen. Zehn Jahre nach dem Umzug nach Rolle verlegte Chiquita seinen Hauptsitz einige Kilometer weiter, nach Etoy. Ob dort ein neuer Steuerdeal ausgehandelt wurde, ist nicht bekannt.
Seit 2014 publiziert Chiquita keine Zahlen mehr. Die Bananenhändlerin wurde von einem Joint Venture des brasilianischen Orangensaftexporteurs Cutrale mit der Safra Group, zu der auch die Schweizer Bank J. Safra Sarasin gehört, aufgekauft. Die neuen Besitzer nahmen Chiquita von der Börse.
Wer aktuelle Informationen zu Chiquita und ihren Zulieferern will, muss sich mit Branchenkennerinnen unterhalten, mit Produzenten und Arbeiterinnen. Medienanfragen beantwortet die Firma mit umständlichen Allgemeinplätzen. Statt harten Fakten gibt es bunte PR-Broschüren.
Die Erfindung der Bananenrepublik
Dafür lässt sich über die Firmenhistorie einiges herausfinden. Denn Chiquita kann auf eine lange, unrühmliche Geschichte von Anschuldigungen wegen Menschenrechtsverletzungen zurückblicken. Selbst der Ausdruck «Bananenrepublik» geht auf Chiquita, beziehungsweise deren Vorgängerunternehmen United Fruit Company (UFC) zurück. Der Begriff stand für die krassen sozialen Ungleichheiten in mittelamerikanischen Staaten, deren abhängige und teilweise korrupte Regierungen von der UFC praktisch kontrolliert wurden.
In den 1950er Jahren unterstützte die UFC einen Militärputsch gegen den reformwilligen Präsidenten Guatemalas; 1961 beteiligte sich die Firma finanziell an der Invasion der Schweinebucht, einem militärischen Putschversuch der USA gegen Kuba. 1972 verhalf die UFC in Honduras einem Diktator zur Macht. Und nach dem Namenswechsel 1990 bezahlte Chiquita Schutzgelder an kolumbianische Paramilitärs.
Die Bananen werden zuerst von Hand geputzt.
Anfang dieses Jahrhunderts schliesslich wurde bekannt, dass sich Chiquita mit seinen Konkurrenten über Preise und Verkaufsmengen von Bananen und Ananas abgesprochen hatte. Mit einer Selbstanzeige sicherte sich der Konzern damals Straffreiheit. Bis heute berichten NGOs über Arbeitsrechtsverletzungen auf den Bananenplantagen – etwa wegen Pestizidvergiftungen und der Unterdrückung von Gewerkschaften.
Augenschein in Ecuador
Zeit also für einen Besuch auf den Plantagen. Ecuador ist für Chiquita besonders zwischen Oktober und Mai ein wichtiger Bananenlieferant. Die Hauptproduktionsländer, in denen Chiquita operiert, liegen allesamt in Zentralamerika, wo die Temperaturen in diesen Monaten tiefer liegen und die Bananenproduktion entsprechend abnimmt. 2014 bezog Chiquita 18% aller Bananen aus Ecuador. Entsprechend haben alle Plantagenarbeiter, die wir treffen, schon für Chiquita-Produzenten gearbeitet. Anfang 2020 machen wir uns auf, einen Augenschein zu nehmen.
Aufgrund unserer Recherchen gehen wir davon aus, dass der Konzern in Ecuador kaum eigene Plantagen besitzt und die Bananen zum grössten Teil von Zwischenhändlern kauft. Die entsprechenden Verträge werden oft kurzfristig aufgesetzt, typischerweise laufen sie über ein oder zwei Jahre. Schon vor dreizehn Jahren forderte Public Eye (damals noch als «Erklärung von Bern») von den transnationalen Bananenunternehmen, auch in den Zulieferbetrieben ökologische und soziale Mindeststandards durchzusetzen.
Doch getan hat sich seither wenig und das Elend auf den Zulieferbetrieben ist nach wie vor vielschichtig. Die niedrigen Löhne sind eines der grössten Probleme der Erntehelfer und -helferinnen, wie uns einer der Tagelöhner erzählt. Je nach Plantagenbetreiber erhalten sie zwischen 20 und 25 Dollar pro Tag, manchmal weniger. Wenn man bei diesem Lohn Vollzeit arbeitet, erreicht man knapp den gesetzlichen Mindestlohn von monatlich 400 Dollar.
Schwarze Liste für Gewerkschafter
Schon der Mindestlohn reicht kaum zum Leben. Aber die Plantagen heuern nicht jeden Tag gleich viele Arbeiterinnen und Arbeiter an. Und wer Pech hat, wird pro Schachtel entlohnt, was den Leistungsdruck enorm erhöht. Manche Produzenten stellen ausserdem migrantische Arbeitskräfte aus Kolumbien oder Venezuela ein, die teilweise für einen Tageslohn von 12 bis 15 Dollar placken.
Das entspräche bei acht Stunden einem Stundenlohn von 1,50 bis 1,90 Dollar. «Doch oft dauert die Jornada länger», sagt ein Arbeiter. «Manchmal sind es zehn oder zwölf Stunden am Tag.» Dieser Willkür sind die Arbeiterinnen und Arbeiter in Ecuadors Bananenplantagen schutzlos ausgesetzt.
Zahlreiche Personen, mit denen wir sprechen, erzählen uns, dass selten Verträge abgeschlossen und kaum Beiträge an Sozialversicherungen einbezahlt würden. Wird ein Pflücker krank, wird eine Waschanlagen-Arbeiterin schwanger, hat ein Verpacker einen Unfall oder steht bei einer Hilfsarbeiterin ein Besuchsmorgen in der Schule an, dann ist das deren Problem.
«Für uns interessiert sich niemand.»
«Für uns interessiert sich niemand», bringt es einer der Männer am Strassenrand von Machala auf den Punkt. Wer aufmuckt oder sich gewerkschaftlich organisieren will, laufe Gefahr, entlassen zu werden, oder seinen Namen auf einer schwarzen Liste wiederzufinden und nirgendwo mehr angestellt zu werden, so die Arbeiter. Deshalb haben wir sämtlichen Protagonistinnen und Protagonisten in diesem Text einen anderen Namen gegeben.
Kinder als «potenziell verletzliche Gruppe»
Wir treffen Daniel bei der Arbeit auf einer Bananenplantage. Schon als Kind packte er Bananenbüschel in riesige Plastiksäcke ein – einer der härtesten Jobs auf den Plantagen. Seine Arbeit bedingt nicht nur ständiges Rauf- und Runterklettern auf der Leiter, die Enfundadores, wie sie genannt werden, sind ununterbrochen synthetischen Pestiziden ausgesetzt. Imprägniert mit Fungiziden oder Insektiziden, sorgen die Plastikhüllen dafür, die Früchte vor Wetter, Ungeziefer und Pilzen zu schützen.
Daniel hat als 12-Jähriger angefangen, auf Bananenplantagen zu arbeiten.
Als er sich von seinem älteren Bruder instruieren liess, war Daniel zwölf Jahre alt. Die Buben brauchten das Geld, um ihre Mutter und die Geschwister über die Runden zu bringen. Und auch wenn es die Produzenten verneinen oder geflissentlich darüber hinwegschauen: Missbräuchliche Kinderarbeit ist in Ecuadors Bananenindustrie nach wie vor Realität.
Darauf weisen nicht nur Menschenrechtsorganisationen immer wieder hin. Auch das US-Arbeitsministerium führt Bananen aus Ecuador seit Jahren auf einer Liste mit Produkten auf, bei denen die Gefahr gross ist, dass sie unter Beteiligung von missbräuchlicher Kinderarbeit hergestellt wurden.
Es ist bekannt, dass der Agrarsektor ein Hochrisikosektor für Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen aller Art ist, auch Public Eye hat kürzlich einen ausführlichen Bericht dazu publiziert. Eine der schlimmsten Formen dieser Rechtsverletzungen ist die missbräuchliche Kinderarbeit. Ganze Generationen werden davon abgehalten, die Schule zu besuchen und sich und ihren Familien so einen Ausbruch aus der Armutsspirale zu ermöglichen.
Chiquita müsste das nach all den Jahrzehnten begriffen haben, doch der Konzern schreibt in seinem reich bebilderten Nachhaltigkeitsbericht von 2019 lediglich, dass er «Kinder als potenziell verletzliche Gruppe identifiziert» habe und nun besser verstehen müsse, was die Auswirkungen auf sie seien. Daniel, der sich seit Kindesalter auf verschiedenen Bananenplantagen verdingt, könnte dem Konzern sicher einiges darüber erzählen, wie sich diese Arbeit auf sein Leben ausgewirkt hat.
In ihrem Nachhaltigkeitsbericht spricht Chiquita von Kindern als potentiell verletzliche Gruppe.
Heute ist er dreissig und packt immer noch Bananen ein, allerdings auf einem Bio-Betrieb, ohne synthetische Pestizide. Er ist sehr froh darum, denn der Gifteinsatz hatte Daniel Anfang zwanzig schwer krank werden lassen: Sein Körper produzierte als Folge des Kontakts mit den Chemikalien nicht genügend weisse Blutkörperchen. Ein Arzt warnte ihn damals, dass eine einfache Grippe für ihn tödlich sein könnte.
Eine Zeitlang sammelte er deshalb Meeresfrüchte an der Küste, kam aber ein paar Jahre später zurück zu den Bananen. Daniel verdient heute täglich zwischen 25 und 30 Dollar und gehört mit seiner faktischen Festanstellung – wenn auch ohne Arbeitsvertrag – zu den Privilegierten.
Update: Daniel, der mit richtigem Namen Lenin Merino heisst, ist leider kurz nach unserer Reportage am 31. Juli 2020 an Covid-19 verstorben. Die Hintergründe dazu hier
Giftiger Syngenta-Bestseller
Die Mehrheit der Bananenproduzenten in Ecuador setzt auf synthetische Pestizide - und zwar auch auf solche, die in Europa längst verboten sind. Paraquat zum Beispiel, der äusserst aggressive Unkrautvernichter. Die Substanz wird hauptsächlich vom Basler Agrochemiegiganten Syngenta vertrieben, unter den Namen Cerillo oder Gramoxone.
Werbung vor Ort: «Ich empfehle Syngenta».
Egal ob mit oder ohne Schutzmaske – der Gestank ist erbarmungslos, und es brennt in den Augen und Atemwegen. Sprüherinnen und Sprüher, die mit Paraquat gearbeitet haben, klagen über Schwindel, Kopfschmerzen oder Brechreiz. Bereits ein Kaffeelöffel der Substanz ist tödlich - dennoch stuft es die ecuadorianische Zulassungsbehörde lediglich als «moderadamente peligroso» ein: mittelmässig gefährlich.
Chiquita gelobte bereits 1998, kein Paraquat mehr zu verwenden. Allerdings nur auf den von der Rainforest Alliance zertifizierten Plantagen. Die Frage, ob und wie der Konzern kontrolliert, dass auf den zahlreichen Zulieferbetrieben in Ecuador kein Paraquat versprüht wird, liess Chiquita unbeantwortet.
Die Pestizide werden für den nächsten Sprühflug gemischt.
Sprühflüge über Wohnhäusern
Mit Flugzeugen werden die Pestizide ausgebracht…
Von weitem sind die Propeller mehrerer Kleinflugzeuge zu hören. Täglich drehen sie ihre Runden ausserhalb Machalas, der selbsternannten Bananenwelthauptstadt nahe der peruanischen Grenze. Sie sprühen ihre Pestizide aus drei bis fünf Metern Höhe auf die endlosen grünen Monokulturen. Direkt neben den Plantagen stehen Schulen, Wohnhäuser und Strassen.
Das Gift landet nicht nur auf den Bananenblättern, sondern auch in Privatgärten und Flussläufen, auf Parkfeldern und Sportanlagen, auf Spielplätzen und im Grundwasser.
… über den Köpfen der Menschen, die inmitten der Plantagen leben.
In der Lagerhalle auf einem der Flughäfen mitten in den Plantagen liegen Kanister mit synthetischen Fungiziden, Insektiziden und Herbiziden von Bayer und Syngenta.
Einer, der den aggressiven Chemikalien ausgesetzt war, ist Francisco. Der junge Arzt hat vergangenes Jahr ein Praktikum auf dem Land absolviert, unweit von dort, wo die Propellerflugzeuge ihre Runden drehen. Bald schon fielen ihm die häufigen Fälle von Nesselfieber auf; er habe monatlich ein bis zwei Patienten mit Juckreiz, Quaddeln oder aufgeschwollenen Lippen behandelt.
«Als ich mich dann wegen denselben Symptomen innerhalb kurzer Zeit fünfmal selbst einliefern musste, wurde ich skeptisch.» Er, der in der Stadt aufgewachsen ist, hatte zuvor nie direkten Kontakt mit Pestiziden und keinerlei Allergien gehabt.
Ausufernde Plantagen, ätzendes Gift
Als der 26-Jährige seine Patientinnen und Patienten auf dem Land besuchte, stellte er fest: Die Plantagen hatten im Laufe der Jahre und mit der Ausbreitung der Monokulturen deren Häuser beinahe eingenommen. Teilweise stehen die Bananenpflanzen bis unter das Vordach der Nachbarn. Gemäss Francisco sind die Anrainer der Plantagen dem höchsten Gesundheitsrisiko ausgesetzt – abgesehen von den Arbeiterinnen und Arbeitern selbst.
In zahlreichen Gesprächen bestätigen uns diese, dass sie während der Sprühflüge oft mitten in der Plantage stehen und sich notdürftig mit einem Stück Stoff bedecken müssen. Dabei müssten sie eigentlich gewarnt werden und dürften die Plantage nach den Flügen zwölf bis achtundvierzig Stunden lang nicht mehr betreten. Doch in der Praxis waschen sie sich hinterher lediglich die Augen aus und versuchen, ihre Haut so gut wie möglich von dem öligen Gemisch zu trocknen.
Wer Kopfschmerzen oder Schwindelanfälle bekommt, hält diese in der Regel bis kurz vor dem Kollaps aus.
Bezeichnend dafür ist die Geschichte einer jungen Frau, die sich beim Bananen waschen versehentlich Wasser mit Chlorgranulat über Brust, Bauch und Beine geleert hatte. Da sie auf die Arbeit angewiesen war und sich nicht traute, ihren Posten fürs Umziehen zu verlassen, brannte sich das Desinfektionsmittel während Stunden in ihren Körper.
Sieben Tage später hielt sie es nicht mehr aus und kam zu Francisco. Dessen Diagnose: Verätzungen zweiten Grades. «Aus Angst, den Job zu verlieren», sagt der Arzt, «versuchen diese Menschen solche Arbeitsunfälle zu verheimlichen und warten, bis es nicht mehr anders geht.»
Fünfzig Prozent unter dem Tisch
Für Andrea war von Anfang an klar, dass sie auf synthetische Düngemittel und Pestizide verzichten und biologisch produzieren möchte. 2017 begann sie ihre Früchte über eine Kooperative an Chiquita zu verkaufen. Allerdings erinnert sie sich nur ungern an diese Zeit. «Wir hatten von Anfang an Probleme mit Chiquita», sagt sie. «Ganze Paletten wurden mit fadenscheinigen Begründungen zurückgewiesen, und das sind immerhin rund fünfzig Schachteln Bananen.»
Es sei um fehlendes Gewicht der Ware gegangen oder um Mini-Narben an einzelnen Früchten. «Wenn man dem Kontrolleur von Chiquita aber genügend Geld auf den Tisch legte, spielte das auf einmal keine Rolle mehr.» Mehrere hundert Dollar habe sie so regelmässig draufzahlen müssen, erzählt Andrea. Heute seien die Zwischenhändler wegen der neu installierten Kameras in den von Drittfirmen angemieteten Lagerhallen etwas vorsichtiger. «Nun wird das Geschäft einfach im Vorraum abgewickelt.»
Wir treffen Enver, einen Agraringenieur, der den Bananensektor seit Jahren verfolgt und die Geschäftspraktiken mit eigenen Augen gesehen hat. Etwas angespannt sitzt er auf dem Stuhl in seinem Büro ausserhalb der Wirtschaftsmetropole Guayaquil, die beiden Arme auf die Lehne gestützt, und sagt, was in Ecuador viele denken: «Die Bananenindustrie funktioniert wie eine Mafia. Fünfzig Prozent findet legal statt, fünfzig unter dem Tisch.»
Enver wollte zunächst nicht mit uns sprechen. Schon gar nicht über den Bananenhändler Chiquita, bei dem er mehrere Jahre angestellt war. Er war dafür zuständig, bei den Zulieferern von Chiquita die Plantagen, die Bewässerungssysteme und die Unkrautbekämpfung zu kontrollieren und den Zustand der Früchte zwischen Ernte und Verschiffung zu prüfen.
Als wir dem Mittvierziger den Zweck unserer Recherche erklären, willigt er ein. «Es ist wichtig zu wissen, dass es hier nicht um eine einzelne Firma geht», sagt Enver, «es geht um ein ganzes System.» Sein Vorgesetzter bei Chiquita habe als einer von vielen regelmässig Schmiergelder eingestrichen – und zwar sowohl von den Zwischenhändlern selbst als auch von den mit ihnen eng verbandelten Produzentenkooperativen, den Asociaciones Bananeras.
Konventionelle Bio-Bananen
Blick auf den Hafen «Puerto Bolívar».
Eigentlich wäre der Bananenhandel in Ecuador streng reglementiert. Der Staat definiert Jahr für Jahr einen Mindestpreis für herkömmlich produzierte Bananen und verpflichtet die Zwischenhändler, den Produzenten diesen Preis pro Schachtel zu bezahlen. Aktuell liegt er bei 6.40 Dollar pro Schachtel. Der Free-on-Board-Preis für konventionelle Bananen beläuft sich zurzeit auf 8.23 Dollar. Das ist der Preis, den die internationalen Bananenkonzerne bezahlen sollten, um die Schachteln auf ihre Frachter zu hieven. Theoretisch.
Wie überall in der Agrarindustrie spielen Jahreszeiten und Wetter eine entscheidende Rolle bei Angebot und Nachfrage. Denn wenn auf der Nordhalbkugel Sommer ist, gibt es sowohl in Nordamerika als auch in Europa und Asien viel Konkurrenz im Früchteregal. Und wenn in Ecuadors Tiefland Regenzeit herrscht, also etwa zwischen Januar und April, steigt das Angebot.
Entweder die Ware unter dem vorgeschriebenen Mindestpreis loswerden - oder das Geschäft verlieren.
Diese Volatilität führt dazu, dass sich Produzenten und Zwischenhändler immer wieder entscheiden müssen: entweder das Geschäft verlieren oder die Ware unter dem vorgeschriebenen Mindestpreis loswerden.
Bananentausch auf offener Strasse: Es kann durchaus vorkommen, dass Bananen erster Klasse kurz vor der Verschiffung durch Bananen zweiter Klasse ersetzt werden.
Eine Strategie, so erzählt uns Enver in seinem Büro, bestehe darin, herkömmlich produzierte Früchte als Bio-Bananen zu verkaufen, von denen wesentlich weniger produziert werden. Das sei eine weitverbreitete Praxis. Die Nachfrage nach Bio-Bananen sei hoch, die Konventionellen seien aber billiger zu produzieren.
«Mein Chef», erinnert er sich, «hat in diesen Fällen jeweils beide Augen zugedrückt.» Er habe einem Zwischenhändler die herkömmlich produzierten Bananen für sieben Dollar pro Schachtel abgekauft, in den eigenen Büchern aber einen Einkaufspreis von neun ausgewiesen. «Die restlichen zwei Dollar», sagt er, «teilte er sich mit dem Zwischenhändler: Ein Dollar ging als Schweigegeld an ihn, den anderen Dollar strich mein Chef ein. Bei wöchentlich mehreren hundert Schachteln kam so ein ordentlicher Betrag zusammen.»
Das Risiko liegt bei den Zulieferern
Wir besuchen den Geschäftssitz eines Zwischenhändlers in der Nähe von Machala. Dutzende von Männern haben sich vor dem Gebäude auf einem Sandplatz versammelt und verzocken ihr hart verdientes Geld beim Kartenspiel oder Ecuavoley, einer lokalen Volleyball-Variante. Die Fenster und Türen der Firma sind vergittert, einzelne Armierungseisen ragen aus dem Beton: Ein Wohnblock, wie er überall im ecuadorianischen Tiefland stehen könnte.
Chiquita ist neben Dole und Fyffes einer der drei Grossabnehmer in Ecuador.
Nur das Werbeplakat eines Bananenverbands deutet darauf hin, dass im ersten Stock mit der gelben Frucht gehandelt wird. Die dort ansässige Zwischenhandelsfirma wurde gleichzeitig mit dem draussen beworbenen Bananenverband gegründet, «um den kleinen Produzenten einen besseren Marktzugang zu bieten», wie Geschäftsführer Santiago sagt. Im Gegensatz zu Guayas und Los Rios, den anderen Anbaugebieten in Ecuador, zeichne sich die Region um Machala durch eine Vielzahl von Kleinproduzenten aus, sagt Santiago. Manche hätten nur ein oder zwei Hektaren Land. Der Zwischenhändler verkauft die Ernte dieser Produzenten an drei der Grossen: Fyffes, Dole und Chiquita.
Santiago will uns Einblick in die Verträge mit Chiquita gewähren, falls sich der Konzern einverstanden erklärt – doch dieser reagiert nicht auf eine entsprechende Anfrage. Dass Chiquita von einem Joint Venture aufgekauft wurde, erfuhr er aus der Zeitung. «Solange die prinzipiellen Ziele eingehalten werden, also Volumen und Preis, spielt das aber keine Rolle.» Rund dreissig Prozent des Handelsvolumens seiner Firma geht an Chiquita.
Mit Zwischenhändlern zu arbeiten ist praktisch für den Konzern, denn so müssen sich andere mit dem Papierkram abmühen. Auch die Zollkontrollen müssen die Zwischenhändler organisieren und selbst finanzieren. Wenn wegen Verzögerungen bei der Abfertigung ein Container nicht verladen werden kann, verliere er auf einen Schlag 10'000 Dollar, klagt Santiago. Ein Container transportiert rund 1’000 Schachteln Bananen, also zwischen 20 und 22 Tonnen.
Wenn Bananen palettenweise abgewiesen werden, trägt Chiquita kaum Schaden davon.
Chiquita trägt in so einem Fall kaum Schaden davon. Werden ganze Paletten aufgrund eines noch so kleinen Makels abgewiesen, landen die Bananen in den Futtertrögen von Schweinen oder Kühen. Auch diesen Verlust tragen laut Santiago die Zwischenhändler.
Der Druck, den die multinationalen Konzerne auf ihre Zulieferer ausüben, ist enorm. Diese geben ihn direkt an die Produzenten weiter.
Die Verantwortung für die Gesundheit und das Auskommen der Arbeiterinnen und Arbeiter, die auf den Plantagen schuften, bleibt an den Plantagenbesitzerinnen hängen. Chiquita hat scheinbar kein Interesse am Kontakt mit der Arbeiterschaft, das wurde bei unseren Gesprächen deutlich.
Chiquitas Verantwortung
Im aktuellen Nachhaltigkeitsbericht schreibt Chiquita: «Wir fordern von unseren Mitarbeitern und allen in unserem Namen tätigen Mitarbeitern – einschliesslich Geschäftspartnern, Lieferanten, Dienstleistern, unabhängigen Auftragnehmern und jedem ihrer Subunternehmer - die Einhaltung aller Gesetze und Vorschriften in den Ländern, in denen sie und Chiquita tätig sind.»
Die Einhaltung der lokalen Gesetze ist eine Selbstverständlichkeit, die eigentlich keine spezielle Erwähnung verdient. In Bezug auf die Bananenproduktion ist diese Aussage zudem zynisch: Seit über einem Jahrhundert dominieren internationale Konzerne diese Industrie. Sie sind so mächtig, dass sie die Spielregeln im Markt festlegen können. Vielfach haben sie in der Vergangenheit in die Politik eingegriffen, um sich eine günstige Ausgangslage zu sichern.
Nachhaltigkeitsbroschüren reichen nicht, um eine Verbesserung der Arbeitssituation in den Produktionsländern herbeizuführen. Und durch Freiwilligkeit allein ändert sich offensichtlich nichts. Marktführer wie Chiquita müssen verpflichtet werden, menschenrechtliche Sorgfaltsprüfungen vorzunehmen, wie sie etwa die Konzernverantwortungsinitiative fordert.
Freiwilligkeit reicht nicht. Es braucht menschenrechtliche Sorgfaltsprüfungen, wie sie etwa die Konzernverantwortungsinitiative fordert.
Erst wenn die multinationalen Unternehmen die negativen Auswirkungen ihrer Aktivitäten entlang der gesamten Produktionskette regelmässig analysieren, können sie auch die richtigen Massnahmen zur Verhinderung von Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen treffen.
Die Konzernverantwortungsinitiative fordert ausserdem, dass die Firmen öffentlich über identifizierte Risiken und getroffene Massnahmen berichten. Im Falle der Bananen dürfte man entsprechend Aussagen zu den drängendsten Problemen wie missbräuchliche Kinderarbeit, Korruptionspraktiken, die häufigen Vergiftungsfälle durch Pestizide, die Vertragslosigkeit oder die fehlenden Sozialversicherungen bei den Zulieferbetrieben erwarten.
Der ganze Bananensektor sei von diesen Missständen durchdrungen, erzählt man uns im Süden Ecuadors an jeder Strassenecke. Wir haben bei unseren Recherchen keine Hinweise darauf gefunden, dass die Situation auf Chiquita zuliefernden Plantagen grundlegend anders ist, weshalb wir davon ausgehen, dass auch Chiquita in seiner ecuadorianischen Lieferkette mit solchen Problemen konfrontiert ist. Inwiefern sich der Konzern dieser Risiken bewusst ist, er diese analysiert und Massnahmen zur Verhinderung von Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen ergreift, bleibt unklar. Zu unseren detaillierten Fragen wollte Chiquita keine Stellung nehmen.
In Pasaje, einem Dorf in der Nähe von Machala, kurz nach 5 Uhr morgens. Die Tagelöhner vom Vortag erzählten, dass hier täglich Dutzende Männer auf Arbeit warten. Und tatsächlich: Rund achtzig Personen sitzen auf dem Trottoir-Rand und auf Holzbänken oder lehnen an Geländern. Sie schwatzen, beobachten den Platz und beargwöhnen jene, die neu hier sind. Wer gestern seinen mündlichen Vertrag für heute noch nicht abgeschlossen hat, hofft, bis etwa 6.30 Uhr doch noch Arbeit zu finden.
Allerdings sind Mittwoch und Donnerstag, die erfahrungsgemäss besten Tage, bereits vorbei. «Heute dürfte es schwierig werden», sagt Ernesto und lächelt. Seit Jahrzehnten arbeitet er auf Bananenplantagen rund um Pasaje. Er hat sieben Kinder und vierzehn Enkel. Dennoch muss der 67-jährige weiterarbeiten, «mir bleibt nichts anderes übrig». Das Rentensystem in Ecuador funktioniert kaum – falls man etwas Geld abholen kann, reicht es nicht zum Überleben.
Plötzlich taucht ein Lastwagen auf. Die gestern Ausgewählten schwingen sich auf die Ladefläche, klammern sich ans Metallgerüst und brausen an den Zurückgebliebenen vorbei. Ernesto geht kurz darauf nach Hause, wie die meisten anderen Männer. Er kann nur hoffen, am Montag wieder mitgenommen zu werden.
Alle Namen zum Schutz der Person geändert.
Globale Gerechtigkeit beginnt bei uns
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Impressum
Reportage: Romano Paganini
Text: Romano Paganini & Alice Kohli
Fotos: Ramiro Aguilar Villamarín, Keystone (Hauptsitz Chiquita)
Online-Umsetzung: Daphne Grossrieder, Rebekka Köppel